Jesus Christ Superstar

Broadway oder Evangelium?

Jesus, in schriller Rockbegleitung als „Superstar“ besungen – die einen haben es 1971 gefeiert, die anderen sahen „ihren“ Religionsstifter damit nicht ernst genommen. 35 Jahre nach der Premiere von „Jesus Christ Superstar“ tourt die Rockoper immer noch durch die Welt und gastiert derzeit am Deutschen Theater in München.

Pfarrer Rainer Schießler bei der Premiere am 13.4. in München (Bild: Berninger) © Simon Berninger

München – Ein Star ist er sicherlich, und wohl auch einer der Superlative: Andrew Lloyd Webber feiert mit seinen Musicalkompositionen wie „Cats“, „Starlight Express“ und „Das Phantom der Oper“ bis heute weltweit Milliardenerfolge. Seinen Durchbruch verdankt Lloyd Webber aber gewissermaßen einem, der schon lange vor ihm „gefeiert“ wurde – und zwar ausgerechnet als Zentralgestalt des Christentums: Jesus von Nazareth. Erst mit „Jesus Christ Superstar“ schaffte Lloyd Webber den Durchbruch. 1971 brachte er Jesus an den Broadway, und Jesus machte ihn zur großen Nummer!

Die letzten sieben Tage im Leben von Jesus erinnern 35 Jahre später auf der zu Jerusalem stilisierten Bühne des Deutschen Theaters kaum noch daran, wie gewagt Lloyd Webbers Produktion damals gewesen ist: Immerhin war und ist „Jesus Christ Superstar“ eine Rockoper und bedient sich damit jenes Musikgenres, das einst noch als „Teufelszeug“ verpönt wurde. Auf die Idee kommt heute niemand mehr, Webbers finale Rocknummer „Superstar“ ist längst zum Klassiker geworden.

Mitreißende Rocksongs

So wenig man das Genre der über 20 Nummern – ohnehin nicht nur Rocksongs, darunter auch Pop-Balladen wie das gefühlvolle „Everything’s Alright“ oder mitreißende Gospel wie „Hosanna“ – heute noch „verteufeln“ würde, so sehr kann man sich heute von den Sounds einfach mitreißen lassen. Es sei denn, man stört sich an Lloyd Webbers erzählter Version der Passion, die unverkennbar zugeschnitten ist auf den Broadway: So findet Jesus, der besetzt mit Glenn Carter die 30 längst überschritten hat, in der stimmgewaltigen Maria Magdalena alias Rebekah Lowings seine treuste Fürsprecherin, die ihn nicht nur als „Jesus Christ“ lieben will, aber stattdessen herzzerreißend singt: „I Don’t Know How to Love Him“.

Der einzige Kuss kommt – darin dem Evangelium folgend – stattdessen aber von Judas alias Tim Oxbrow, dessen Rolle gegenüber der tradierten Versionen viel stärker im Vordergrund steht: In „Strange Thing Mystifying“ wirft er seinem Freund Jesus vor, seine Ideale zu verraten, wenn er sich mit einer Prostituierten wie Maria Magdalena überhaupt nur abgibt. Jesus kontert aber auch in der Bühnenversion gelassen: „Nur wer selbst ohne Sünde ist, darf ein Urteil fällen.“

Überzeichnete Figuren

Auch bei Lloyd Webber verrät nicht Jesus seine Ideale, sondern Judas seinen Freund an die Römer, woraufhin ihn der kluge zögernde Pontius Pilatus zu einem bis ins Schrille überzeichneten Herodes schickt, der Jesus inmitten eines Harem aus jungen Frauen (und Männern) in seinen Gemächern veralbert: „Prove to me that you’re no fool, walk across my swimming pool“.

Die Gratwanderung zwischen enthusiastischem Jubel, verzweifelter Nachfolge und verhöhnendem Kitsch endet nach rund zwei Stunden mit der Szene, in der Jesus ans Kreuz genagelt wird. Lloyd Webbers Passion kehrt sich um in die tiefe Ernsthaftigkeit, die mit Jesu letzter Stunde verbunden ist. So grausam und langgezogen sind die Nagelschläge, dass so mancher Besucher den Saal verlässt. Er verpasst aber die Ostersonne, das grelle Licht aus dem Off, aus dem der Auferstandene der wartenden Menge entgegenkommt. Es ist aber nicht Maria Magdalena, der Jesus als erstes seine Hand reicht, sondern Judas. Am Ende steht also die Kraft der Vergebung, die auch Lloyd Webber wichtiger schien als überstürzte Broadway-Romantik. (ber)