Nach fünf Jahren Krieg

Bittere Lektion für den Westen und Leid der Kinder

Dem Bericht mehrerer Hilfsorganisationen zufolge hat sich die Lage im Bürgerkriegsland Syrien im vergangenen Jahr dramatisch verschlechtert. Russland und der Westen haben demnach maßgeblich dazu beigetragen, dass die Menschen im Land immer mehr leiden.

Fünf Jahres dauert er schon, der Krieg in Syrien (Wborodin - Fotolia.com) © Wborodin - fotolia.com

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

Der sogenannte Arabische Frühling ging im Westen mit der Illusion einher, allein die Beseitigung jahrzehntealter Diktaturen werde schon für demokratische Strukturen sorgen. Deshalb konnte es nicht schlecht sein, Milizen im Aufstand gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad zu unterstützen. Warnungen syrischer Kirchenführer wurden beiseite gewischt. Dabei trieb sie nicht vermeintlicher Anteil am Machterhalt - sondern die Sorge vor dem noch größeren Übel. Fünf Jahre danach schmeckt die Lektion der Fehleinschätzung in Europa bitter - und die Klage gegen den Flüchtlingsansturm ist groß.

Rückblende

Der "Arabische Frühling" 2011 wurde von Tunesien aus zum Flächenbrand. Langjährige Despoten und Regime fielen wie Dominosteine: Tunesiens Zine el-Abidine Ben Ali, Libyens Muammar al-Gaddafi, Ägyptens Hosni Mubarak. Die kleingehaltenen Christen der Region erlangten damit allerdings nicht wirklich Freiheit. Im Gegenteil: Sie und andere Minderheiten verloren mit den Diktatoren auch ihre Schutzmacht gegen den radikalen Islam. In den Nachfolgekriegen erstarkten die Islamisten; die Christen werden bis heute zwischen den Fronten zerrieben.

Die Kennzahlen in Syrien

Der Krieg zwischen der Regierung Assad, IS-Milizen und anderen Rebellengruppen dauert an. In der bevölkerungsarmen, vom IS kontrollierten Osthälfte des Landes gibt es Massaker und Hinrichtungen; Minderheiten werden vertrieben oder ermordet. Auch Regierungstruppen werden Massaker und Menschenrechtsverbrechen zugeschrieben. Die insgesamt unklare Gemengelage treibt Hunderttausende Christen zum Verlassen des Landes.

Alle Angaben zur Bevölkerung sind unzuverlässig. Von den rund 21 Millionen Syrern vor dem Krieg gelten inzwischen 9 Millionen als Flüchtlinge oder Binnenflüchtlinge. Religiös waren vormals 75 Prozent der Syrer Sunniten und 12 Prozent Alawiten, darunter auch die Eliten der Hauptstadt inklusive dem Assad-Clan. 6 bis 10 Prozent waren Christen unterschiedlichster Konfessionen. Waren. Die Zahl von 500.000 bis 700.000 christlichen Flüchtlingen steht im Raum.

Es ist, historisch gesehen, ein vierter massiver Aderlass für das Christentum, das sich, lange bevor es auch nach Europa kam, von Jerusalem aus nach Kleinasien, Mesopotamien und Nordafrika ausbreitete. Dass es gerade im Nahen Osten eine verwirrende Vielfalt christlicher Kirchen und Denominationen gibt, liegt - wie später auch im Islam - an den streitvollen Findungsprozessen der eigenen Lehr- und Glaubenssätze.

Geboren im Krieg

Jedes dritte syrische Kind ist einem Unicef-Bericht zufolge im Krieg zur Welt gekommen. Seit Beginn des Konfliktes vor fünf Jahren seien rund 3,7 Millionen Mädchen und Jungen geboren worden, wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in seinem am Montag in Köln veröffentlichten Bericht zur Lage der Kinder in Syrien aufführt.

"Fünf Jahre Syrienkrieg, das bedeutet: Millionen syrische Mädchen und Jungen unter fünf Jahren kennen nichts als Krieg und Flucht", erklärte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider. Das Hilfswerk schätzt außerdem, dass über zwei Millionen Kinder in Syrien und rund 700.000 in den Nachbarländern keine Schule besuchen.

Von den 3,7 Millionen Kindern, die seit Beginn des Syrien-Konfliktes zur Welt gekommen seien, seien mehr als 151.000 als Flüchtlinge in einem der Nachbarländer geboren worden und hätten ihre Heimat noch nie gesehen. Das Kinderhilfswerk schätzt, "dass heute 8,4 Millionen Kinder und Jugendliche in Syrien und seinen Nachbarländern direkt von dem Konflikt betroffen sind" - über 80 Prozent der Minderjährigen.

Kindersoldaten

Was die Rekrutierung von Kindersoldaten angeht, hätten bewaffnete Gruppierungen zu Beginn des Konfliktes vor allem 15- bis 17-Jährige "für unterstützende Rollen wie Träger oder Koch eingesetzt". Jedoch rekrutierten die Konfliktparteien seit 2014 zunehmend jüngere Kinder als Kämpfer: Manche seien erst sieben Jahre alt. Kürzlich hatte das Deutsche Bündnis Kindersoldaten mitgeteilt, dass rund 250.000 Minderjährige in mehr als 20 Staaten in Armeen und bewaffneten Gruppen als Soldaten eingesetzt würden.

Unicef stellte seinem am Montag präsentierten Bericht zufolge 2015 fast 1.500 schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Kinder fest, "darunter Tötung und Verstümmelung, die Rekrutierung von Kindersoldaten, Entführung, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser und die Verweigerung von Zugang zu humanitärer Hilfe".

Das Leid der Kleinen

Im syrischen Madaja ist die Lage für Kleinkinder nach Darstellung der Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer weiter dramatisch. Müttern fehle die Milch zum Stillen; Helfer hätten ausgemergelte Kinder angetroffen, die kaum laufen und nur langsam sprechen könnten, sagte die syrische SOS-Mitarbeiterin Abeer Pamuk im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Gemeinsam mit einem Nothilfeteam von SOS-Kinderdörfer hat sie die belagerte Stadt jüngst besucht.

Pamuk berichtete von Müttern, die ihren hungernden Kindern Schlafmittel verabreichten, damit diese wenigstens für ein paar Stunden nicht leiden müssten. Auch viele Erwachsenen seien durch Hunger so geschwächt, dass sie keine Nahrung mehr aufnehmen könnten. Selbst nach der Ankunft von Hilfslieferungen rationierten die Menschen die Nahrung aus Angst, wieder von der Versorgung abgeschnitten zu werden, so Pamuk. In den vergangenen Wochen hätten viele von Gras, Blättern und in Wasser gekochten Kräutern gelebt.

Lebensbedrohlich sei auch die fehlende medizinische Versorgung. In der ganzen Stadt mit 40.000 Einwohnern gebe es nach Angaben von Bewohnern nur einen einzigen Arzt. Auch bei einer besseren Ernährungslage sei "das Risiko groß, dass sie an Krankheiten oder Verletzungen sterben", sagte Pamuk. Die einzige Lösung für die Bevölkerung in Madaja und anderen abgeriegelten syrischen Städten sei ein Ende der Belagerungen. Dafür müsse sich die internationale Gemeinschaft einsetzen, forderte Pamuk. (kna/sts)