Meinung
Papsterlass zu Abtreibung

Zuerst kommt der Mensch!

In seinem Schreiben zum Heiligen Jahr 2016 hat Papst Franziskus verbindlich mitgeteilt, dass weltweit jeder Priester die schwere Sünde der Abtreibung in der Beichte vergeben kann. Was der Erlass des Papstes für die seelsorgerliche Praxis bedeutet, erläutert Pfarrer Rainer Maria Schießler.

Pfarrer Rainer Maria Schießler leitet die Pfarreien St. Maximilian und Hl. Geist in München. (Bild: MK) © MK

Klar, wegschicken oder gar verletzen geht gar nicht. Wer nach einer Abtreibung den Beichtstuhl betritt, ist kein oberflächlicher Mensch und Christ. Er weiß um das „Drama der Abtreibung", diesem Erlebnis einer „Niederlage" und den „Narben einer leidvollen und schmerzhaften Entscheidung", wie Papst Franziskus es nennt. Es geht um das sogenannte Post-Abort-Syndroms (PAS), das einen Menschen komplett zerstören kann, und um die vielfältigen Umstände, die zu solch einer Entscheidung geführt haben. Wir Seelsorger kennen das und sind immer schon dafür bereit gewesen, diese zur Reue bereiten Menschen zu begleiten, sie aufzurichten und ihnen den Mut der „alles vergebenden Liebe Gottes" zuzusprechen. Der entscheidende Moment aber blieb aus: die Lossprechung im Sakrament der Buße. Doch gerade sie, diese Ur-Geste der Befreiung, hilft dem Betroffenen doch erst, das geschehene Unrecht zu verstehen und die Hoffnung nicht aufzugeben, so Papst Franziskus.

Dass dies nun im Sakrament der Buße möglich ist, bedeutet einen unglaublich wichtigen Schritt auf die Menschen und auf uns Priester zu. Wir Seelsorger sind viel näher am Menschen dran als irgendein Gesetz oder eine Anordnung. Befindlichkeit und Schmerz, aufrichtige Reue und Bereitschaft zur Umkehr erleben wir doch tagtäglich hautnah. Ein Gesetz kann niemals mehr bedeuten als der Mensch, dem es eigentlich dienen soll! Wie sehr gilt dies doch für die Vergebung angesichts echter Reue, die niemals verweigert werden darf. Dieser Schritt macht Mut und lässt hoffen, dass auch in anderen pastoralen Situationen die Bedeutung priesterlichen Tuns deutlicher gemacht wird wie bei der Zulassung geschieden Wiederverheirateter zu den Sakramenten. Übrigens: Die hebräische Sprache kennt für die Begriffe Barmherzigkeit und Gebärmutter nur eine Wortwurzel. Papst Franziskus unterstreicht somit sein Vertrauen in seine Priester wieder einmal mit der unglaublichen Kraft der Symbolik.