Umfragen zeigen: Obwohl sich viele Menschen von den Kirchen entfernen und zentrale christliche Glaubensinhalte fragwürdig geworden sind, bleiben „christliche Werte“ für viele Menschen von Bedeutung. Die christliche Tradition wird als prägend für Europa wahrgenommen, und für viele ist eine bevorzugte Stellung des Christentums in Deutschland selbstverständlich und wünschenswert.
Doch gilt es genau hinzusehen. Werden „christliche Werte“ nicht oft ins Feld geführt, um gesellschaftliche Veränderungen zu verhindern? Und sorgen sich zur Zeit nicht manche sehr lautstark um die „christliche Identität“ des Abendlandes und nehmen zugleich in Kauf, dass Menschen, die vor Krieg, Terror und Aussichtslosigkeit fliehen, vor den Pforten dieses „christlichen Abendlandes“ ertrinken oder, wenn sie doch ankommen, diffamiert oder bedroht werden?
Solidarität mit den Schwachen
Was also sind „christliche Werte?“ Grundpfeiler des christlichen Menschenbildes wie die Wahrnehmung des Menschen in seiner Geschöpflichkeit, Würde und Verantwortung, in seiner Bestimmung zur Freiheit und seinem Angewiesensein auf Beziehung und Versöhnung wurzeln im Alten Testament. Wir haben sie also ebenso mit dem Judentum gemeinsam wie andere scheinbar „typisch christliche“ Werte wie Nächstenliebe, ein faires Verhalten auch gegenüber dem Feind bis hin zur Solidarität mit Armen, Schwachen und Fremden. Die meisten dieser Werte teilen wir außerdem mit großen Weltreligionen (einschließlich dem Islam) und humanistischen Strömungen.
Spezifisch christliche Werte finden sich am ehesten in der „Reich-Gottes-Ethik“ Jesu. Diese macht die bedingungslose Zuwendung, Liebe und Barmherzigkeit Gottes zum Maßstab des Handelns. Damit werden das Wohl und die Würde gerade der Schutzlosen ins Zentrum gestellt – nicht die Sicherung des Wohlstandes des „christlichen Abendlandes“. Das ist unbequem. Aber genau das gilt es einzubringen, im Einklang mit den anderen genannten Werten und gemeinsam mit allen Menschen guten Willens