"Gesicht zeigen - Stimme erheben"

"Wochen gegen Rassismus" seit 25 Jahren in Deutschland

Eigentlich sollten vom 16. bis 29. März bundesweit mehrere tausend Veranstaltungen gegen Rassismus stattfinden. So war dies zum 25-jährigen Bestehen der "Internationalen Wochen gegen Rassismus" geplant. Dann kam Corona.

Schon 1966 hatte die UN-Generalversammlung den Beschluss gefasst, den 21. März zum Anti-Rassismus-Tag zu erklären. © TheVisualsYouNeed - stock.adobe.com

Darmstadt – Es ist eine Binsenweisheit: Menschen werden nicht als Rassisten geboren. Sie werden im Laufe ihres Lebens dazu gemacht. Seit einigen Jahren scheint dies immer perfider zu funktionieren. Denn "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" ist präsent in Deutschland, wie jüngst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bestätigt hat. "Ja, es gibt Rassismus in unserem Land - und das nicht erst seit einigen Wochen", sagte das Staatsoberhaupt Anfang März bei der Trauerfeier für die Opfer des rassistisch motivierten Anschlags von Hanau.

Erwartet wurden 200.000 Teilnehmer

Nach Steinmeiers Einschätzung gibt es eine "weit verbreitete Muslimfeindlichkeit" in Deutschland. Menschen mit Kopftuch oder auch Menschen mit dunklerer Hautfarbe erlebten Diskriminierungen, Angriffe, Beleidigungen und Gewalt. Die "ganz große Mehrheit" in der Bundesrepublik sei zwar gegen Ausgrenzung. Doch diese Mehrheit müsse sich auch zeigen, forderte Steinmeier. Diese Motivation treibt die Initiatoren der bundesweiten "Internationalen Wochen gegen Rassismus", die vom 16. bis 29. März mit mehreren tausend Veranstaltungen stattfinden sollten.

Unter dem Motto "Gesicht zeigen - Stimme erheben" waren zum 25-jährigen Bestehen der Aktionswochen etwa 200.000 Teilnehmer erwartet worden. Doch nun scheint das Coronavirus auch diesen Planungen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Der Initiator und geschäftsführende Vorstand der Aktionswochen, Jürgen Micksch, rechnete ursprünglich mit mehr als 3.500 Veranstaltungen, darunter 1.800 gemeldete Veranstaltungen wie Vorträge und Podiumsdiskussionen sowie 1.700 Freitagsgebete in Moscheen.

Absagenflut

Noch am Mittwoch sagte Micksch auf Anfrage, die Zahlen seien "weiterhin aktuell". Am Donnerstagmorgen ergänzte er, inzwischen hätten Veranstaltungen "an wenigen einzelnen Orten" abgesagt werden müssen. Am Donnerstagnachmittag dann konstatierte er: "Es gibt nun immer häufiger Absagen, weil es Orte gibt, die alle Veranstaltungen absagen." Und am Freitagmorgen verwies Micksch darauf, dass die großen muslimischen Verbände ab sofort keine Freitagsgebete mehr durchführen.

Zudem müssten nun an "mehreren Orten" vorgesehene Veranstaltungen verschoben oder abgesagt werden. Die Entscheidung darüber treffen laut Micksch letztlich die Veranstalter vor Ort. Auch in Darmstadt, das in diesem Jahr für die zentralen religiösen Feiern ausgewählt worden war, weil dort vor 25 Jahren die ersten Veranstaltungen zum UN-Tag gegen Rassismus (21. März) stattfanden. Am 20. März 2020 sollte es ein zentrales Freitagsgebet in der Emir Sultan Moschee in Darmstadt geben. Am selben Tag war ein zentrales Sabbatgebet in der Darmstädter Synagoge geplant. "Diese beiden Veranstaltungen werden wir verschieben", so Micksch.

Gestiegenes Bewusstsein für Rassismus

Er ist geschäftsführender Vorstand der in Darmstadt ansässigen Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus. Sie koordiniert die Veranstaltungen, die es in Deutschland rund um den "Internationalen Tag zur Überwindung von Rassendiskriminierung" am 21. März gibt. Schon 1966 hatte die UN-Generalversammlung den Beschluss gefasst, jenen Tag im März zum Anti-Rassismus-Tag zu erklären. Dabei nahm sie Bezug auf das sogenannte Massaker von Sharpeville am 21. März 1960 in Südafrika, bei dem die Apartheid-Polizei 69 schwarze Demonstranten erschossen hatte.

In Deutschland beachtete man diesen Gedenktag zunächst kaum. Das änderte sich erst nach den gewaltsamen, rassistisch motivierten Übergriffen zu Beginn der 1990er Jahre in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen. "Heute ist das Bewusstsein für rassistische Diskriminierung allgegenwärtig", so Micksch.

Der Theologe war in den 1990ern Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Auf seine Initiative hin wurde am 31. August 1994 in Frankfurt am Main der Interkulturelle Rat in Deutschland gegründet, der seitdem die Aktivitäten rund um den 21. März in Deutschland koordinierte. Seit Januar 2016 hat diese Aufgabe die Stiftung für die Anti-Rassismus-Wochen übernommen. 2008 wurde der Aktionszeitraum auf zwei Wochen ausgeweitet - "aufgrund der Vielzahl von Veranstaltungen und der steigenden Beteiligung". Doch die könnte wegen Corona nun wieder deutlich sinken. (Norbert Demut/ kna)