Meinung
Nachruf Benedikt XVI.

Wir waren Papst

„Wir sind Papst!“ titelte die Bild-Zeitung ein Tag nach der Wahl Joseph Kardinal Ratzingers zum Papst. Nun ist Benedikt XVi. verstorben. Ein Nachruf.

Am 19. April 2005 wurde Joseph Ratzinger zum Papst gewählt. © IMAGO / Ulmer

Wenn man sich die Bilder vom Heimatbesuch Papst Benedikts XVI. aus dem Jahr 2006 ansieht, die jubelnden Massen von begeisterten Menschen an der Ludwigsstraße oder auf dem Marienplatz unter blau-weißem Himmel und bei hellstem Sonnenschein, dann hat man das Gefühl, nicht nur Jahre zurückzublicken, sondern Jahrzehnte. Es wirkt wie aus einer völlig anderen Zeit.

Und das war es damals auch. Die Welt war für die katholische Kirche grosso modo noch in Ordnung, obwohl auch schon damals bei Weitem nicht alles in Butter war. Doch waren Kollektivversagen und -vertuschen des Missbrauchsskandals, zusammenbrechende Hierarchien oder all die anderen tiefen und hässlichen Abgründe und Dunkelheiten hinter der Fassade noch nicht ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen. Die Gläubigen wanderten noch nicht in Legionsstärke ab, und auch Papst Benedikt XVI. war quasi sakrosankt. Weite Teile der Öffentlichkeit blickten wie beseelt durch die rosarote „Wir sind Papst“-Brille, und kein Schatten verdunkelte die blütenweiße Soutane des Heiligen Vaters.

Mit "Papstjubel" zurückhaltend sein

Heute wissen wir, was folgte, welchen Lauf die (Kirchen-)Geschichte nahm. Hätte man schon damals etwas ahnen können, zurückhaltender und nüchterner mit der Situation umgehen sollen und müssen? Was den Umgang mit den auch damals schon in den verantwortlichen Kreisen bekannten Missbrauchsfällen und deren Vertuschung et cetera angeht: Unbedingt ja, die Kirche stünde heute besser da, keine Frage. Aber damals besaß niemand weder Willen noch Courage zur eigenen „Nestbeschmutzung“. Da musste erst 2010 ein Jesuit namens Klaus Mertes kommen, der die Lawine hierzulande ins Rollen brachte.

Was den Umgang mit „Papstjubel“ angeht: Da sollte man zukünftig generell – anders als 2005/06 – sehr zurückhaltend sein, aus kirchlicher Sicht schon gleich gar, nicht zuletzt aufgrund des Wissens um den Missbrauchsskandals. Doch an der damaligen beinahe fanhaften Begeisterung waren alle, ja auch wir von der Münchner Kirchenzeitung, irgendwie mitbeteiligt und hatten unseren – wie auch immer gearteten – Anteil daran. 

Ein Bayer war Papst

Und irgendwie war das damals ja auch ganz schön und aufregend: Ein Bayer, einer von uns, jemand aus unserem Erzbistum, ein ehemaliger Münchner Erzbischof, ist Papst. Viele haben daran partizipiert: Tourismus, Verlage, Medien – jeder schnitt sich gern ein Stück von der großen Papst-Benedikt XVI.-Torte ab. Was für Bilder, was für TV-Übertragungen: Trachtler und weiß-blaue Rautenfahnen permanent auf dem Petersplatz oder in der Audienzhalle, wann hatte es das schon jemals zuvor gegeben? Auch so mancher Politiker sonnte sich gern im papalen Glanz.

Und Benedikt XVI. selbst? Was bleibt von Joseph Ratzinger, der heute schon vielen Jugendlichen nichts mehr sagt oder dieser Generation allenfalls auf dem Smartphone innerhalb der Missbrauchsberichterstattung einmal untergekommen ist? Ein schneller Wischer – aus den Augen, aus dem Sinn.

Was bleibt, ist ein Priester aus unserem Erzbistum, der nach einer sehr langen Zeit in führender Stellung im Vatikan anno 2005 mit 78 Jahren auf den Stuhl Petri gewählt wurde, in einem Alter, in dem viele schon längst im Ruhestand oder Pflegeheim sind. Für eine Zeit versuchte er, der Last des Amtes ergeben, die Geschicke der Weltkirche zu leiten, so gut es eben für ihn ging.

Benedikt XVI. war mit Heimat verbunden

Ein großer Theologe, ein Konservativer, ein mit der Größe der Menschenfischerschuhe oft Überforderter. Ein Gottesmann, der tief, fast kindlich, mit seiner Heimat und Herkunft verbunden war, wovon er sein ganzes langes Leben innig zehrte. Ein „einfacher Diener im Weinberg des Herrn“, der mit seinem Rücktritt 2013 seine wohl größte Geste vollbrachte und dem Papstamt eine neue und gute Facette hinzufügte.

Ein Joseph in der Nachfolge des heiligen Petrus. Und wie schon dieser „Fels der Kirche“ ein Mensch mit all seinen guten, freundlichen und liebenswerten, teils sogar herausragenden Seiten und somit auch mit all seinen Fehlern, Schwächen und Unzulänglichkeiten.

Möge Joseph Ratzinger, Papst emeritus Benedikt XVI., seinen Frieden finden bei unserem Herrgott.

Der Autor
Florian Ertl
Münchner Kirchenzeitung
f.ertl@michaelsbund.de