Jugendbegegnung in Dachau mit Holocaust-Überlebenden

"Wir brauchen keine Angst haben"

Noch bis zum Freitag diskutieren junge Menschen aus der ganzen Welt in Dachau über Ausgrenzung, Rassismus und Diskriminierung. Bei der Jugendbegegnung treffen sie auch Überlebende des Holocaust. Einer von ihnen, Abba Naor, erklärte, warum er sechs Monate im Jahr in Deutschland verbringt.

Bei der Jugendbegegnung in Dachau erzählten Zeitzeugen von erlebten NS-Greueln. (Bild: Kiderle) © Kiderle

Dachau – Abba Naor war 13 Jahre alt, als er in das Ghetto in Kaunas deportiert wurde. „Dann war ich kein Kind mehr“, sagt Naor. Dann kam er in die Konzentrationslager Stutthoff und Dachaus Außenlager. Trotzdem kann er von sich sagen: „Heute fühle ich mich wieder jung.“ Der 88-Jährige berichtet mit vier weiteren, mittlerweile hochbetagten, Holocaust-Überlebenden seine Lebensgeschichte beim Erzählcafé der Internationalen Jugendbegegnung Dachau. Rund 100 Jugendliche kommen dazu seit 1982 jedes Jahr im August in die Jugendbegegnungsstätte Dachau.

 

„Die Jugendbegegnung ermöglicht ein Kennenlernen sowie die Auseinandersetzung mit der Thematik Rassismus und Ausgrenzung“, erläutert Projektkoordinator Norman Böttcher. Die Jugendlichen aus 21 Nationen, darunter Israel, Polen und Algerien, griffen auch aktuelle Fragestellungen beispielsweise um die Nachkriegszeit und rund um Olympia auf.

 

Innerer Auftrag

Heute wohnt Naor, gebürtiger Litauer, in Nechovot in Israel, sechs Monate im Jahr ist er in Deutschland: Freunde besuchen, aufklären, zeigen, dass es auch anders geht. „Ich habe einen inneren Auftrag“, betont Naor. Er will aufklären: über das Leben, über Menschlichkeit und Nächstenliebe. Zur heutigen Situation sagt er: „Die Menschen brauchen keine Angst zu haben, sie brauchen Respekt voreinander, denn das Mächtigste im Leben ist das Leben selbst.“ Ihr sollt Licht für die Völker sein, stehe in der Bibel geschrieben, daran habe er sich gehalten.

 

Die heute 92-jährige Ester Bejarano kam vom Zwangsarbeitslager Neuendorf aus im April 1943 mit einem Viehwagon nach Auschwitz. „Wir wussten nicht, wohin die Reise geht“, erinnert sie sich. „SS-Männer begrüßten uns, wir mussten uns ausziehen, die Haare wurden uns geschoren, wir bekamen Sträflingskleidung und eine Nummer eintätowiert, die 41.948. Da war uns klar, dass wir in einem Konzentrationslager sind.“ Zunächst musste sie Steine schleppen. „Ich wäre gestorben, aber ich hatte das Glück, dass die Dirigentin für das angeordnete Mädchenorchester Frauen suchte. Ich meldete mich“, berichtet Bejarano.

Mit Tränen in den Augen musiziert

Das Orchester musste morgens am Tor Märsche spielen, wenn die Arbeitskolonnen ausrückten und am Abend, wenn sie wiederkamen. „Auch wenn neue Transporte ankamen, mussten wir musizieren. Wo Musik gespielt wird, kann es nicht so schlimm sein, dachten bestimmt die Ankommenden. Wir spielten mit Tränen in den Augen.“ Gemeinsam mit den anderen Frauen aus dem Mädchenorchester kam sie in den sogenannten Funktionsblock: „Da waren richtige Betten.“

Die gebürtige Saarlouiserin und Mutter zweier Kinder hatte abermals Glück: Alle mit „arischem Blut“, das sie laut NS-Ideologie durch ihre Großmutter väterlicherseits hatte, sollten sich beim Blockwart melden. Als einzige des Blocks wurde sie in das Lager Ravensbrück verlegt. „Ich wollte Auschwitz lebendig verlassen, um später erzählen zu können, was uns angetan wurde“. (Alexa Glawogger-Feucht)