Interview mit Ludwig Spaenle

Wie "seine" Kirche mit Austritten umgehen sollte

Ihn beschäftigen die hohen Kirchenaustrittszahlen aus dem vergangenen Jahr längst nicht nur als Politiker: Ludwig Spaenle - bayerischer Kultusminister und zugleich studierter Theologe und engagierter Katholik im Münchner Katholikenrat. Im Interview sagt er, was er sowohl politisch, als auch kirchlich für geboten hält - und was nicht.

Ludwig Spaenle spricht sich dafür aus, auf die Kernbotschaft zu setzen, um so weiteren Kirchenaustritten entgegenzuwirken. (Bild: Berninger) © Berninger

Herr Staatsminister, was sagen Sie als engagierter Katholik zu den kürzlich veröffentlichten Kirchenaustrittszahlen im vergangen Jahr?

SPAENLE: Das kann natürlich niemanden, der – wie intensiv auch immer – Mitglied einer der beiden großen Kirchen ist, unberührt lassen. In den Großstädten verdichten und beschleunigen sich gesellschaftliche Prozesse. Das spielt eben auch bei der Frage der Austrittszahlen der beiden großen christlichen Kirchen eine Rolle: Hier wird die Situation besonders deutlich. Aus meiner Sicht ist es die Aufgabe der Kirche in ihrer Rolle als Volkskirche – die territorial gewirkt hat mit einer völligen Durchdringung des gesamten Landes – heute zu einem Weg zu finden, den christlichen Lebensentwurf mit seiner grundsätzlichen Lebenseinstellung als gesellschaftliche Kraft neben anderen überzeugend zu gestalten. Ich glaube, das ist ein schwieriger Prozess.

Wie könnte die Kirche diesen Prozess denn angehen?

SPAENLE: Die Kirchen sind aufgrund ihrer historischen Entwicklung gesellschaftlich prägende Kräfte und wichtige Institutionen mit relevanter Binnenorganisation und Mitwirkungskompetenzen. Die Organisation der Kirche und das Verhältnis zwischen Staat und Kirche sind in dieser Form einmalig. Es sind intensive und sehr strukturierte Wirkungsgeflechte. Für manchen, der nach Sinnerläuterung und Orientierung sucht, wirkt dieses Gebäude der Amtskirche vielleicht etwas sehr institutionell. Die Kernbotschaft zu vermitteln, dass das Christentum einen Lebensentwurf ermöglicht, der von Hoffnung geprägt ist, ist in unserer postindustriellen Gesellschaft eine Aufgabe, die ganz besonders herausfordernd ist.

Was bedeuten die hohen Austrittszahlen denn für die Arbeitswelt? Immerhin sind beide Kirchen zusammen der größte Arbeitgeber nach dem Staat.

SPAENLE: Zum Einen stellt sich die Frage der speziellen arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen, die für die Kirchen in unserer Gesellschaft gelten. Auf der einen Seite ist es sehr wichtig, dass sich die Kirchen, mit dem Kirchensteuerprivileg ausgestattet, in unserem Land in vielfältiger Weise gesellschaftlich, sozial, kulturell engagieren: im Gesundheitsbereich, in allen Bereichen der sozialen Versorgung bis hin zur Wissenschaft, auch was die Beschäftigung von Menschen mit entsprechenden Fachausbildungen zur Folge hat. Aber es wäre auch aus der Eigensicht der Kirchen eine verkürzte Wahrnehmung, wenn man sie nur als großen Sozialverband verstünde. Das ist ja auch der Appell, den letztlich Papst Benedikt XVI. formuliert hat: Konzentriert euch auf das eigene Feld. Es ist vielleicht zu viel gesagt, wenn man das als Appell versteht, sich aus der säkularen Welt zurückzuziehen. Aber es braucht beides: Auf der einen Seite die Kernbotschaft, dass der Mensch als Ebenbild Gottes eine unverwechselbare Persönlichkeit mit unverwechselbarer Würde ist mit der Aussicht, dass es ein Leben nach dem physischen Ende gibt. Und auf der anderen Seite eben die Rolle in einem großen, gesellschaftlichen Rahmen, wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Wäre es für die Politik aber eigentlich nicht eigentlich geboten, die Konsequenzen aus den Austrittszahlen zu ziehen und auf andere, stärker wachsende Tendenzen in der Gesellschaft auch im Hinblick auf andere, vielleicht stärker wachsende Religionen zu setzen?

SPAENLE: Ich halte diesen Zugang für nicht zielführend. Wir haben einen freiheitlich verfassten Staat, der religiös-weltanschaulich neutral ist. Das heißt aber nicht, dass er keine Werte kennt. Wir haben kein Gebot der strikten Trennung gegenüber den Religionsgemeinschaften in der Verfassung. Es gibt Bedingungen, die unsere Verfassungswirklichkeit prägen, noch aus der Zeit vor dem Erlass von Grundgesetz und Länderverfassungen. Das sind Wertorientierungen, die auf einer christlichen Basis beruhen. Insofern gibt es in der Bundesrepublik Deutschland auch eine gewachsene Nähe der Gesellschaft zu den beiden großen christlichen Konfessionen, aber auch zu anderen Religionsgemeinschaften wie Israelitischen Kultusgemeinden oder der Orthodoxie.

Was wäre ihr Wunsch für eine innerkirchliche Entwicklung und ihre Außenwirkung?

SPAENLE: Ich wünsche mir, dass die grundprägende Kraft, die das Christentum für die Bundesrepublik Deutschland hat, auch in Zeiten einer stark sich auseinanderentwickelnden Gesellschaft in ihrer Wirksamkeit deutlich und stark bleibt – gerade wenn wir jetzt zum Beispiel auf das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation mit weltgeschichtlicher Auswirkung zugehen. Und dass die grundprägende Kraft der „Germania sancta“, der, wenn man so will, „Bavaria sancta“ – auch wenn sich Staat und Kirche wie beispielsweise in der Asylfrage nicht immer einig sind – bei den vielen gesellschaftlichen Herausforderungen und Aufgaben weiter wirken kann.

Das Interview führte Simon Berninger.