Christliche Gemeinschaft

Wer gehört zum Volk Gottes?

Kirche ist man niemals allein. Christen gehören als Gottesvolk zusammen. Warum die Sonntagsmesse deshalb mehr als ein bloßer Pflichttermin ist:

Kirche bedeutet Gemeinschaft. © redaktion93 - stock.adobe

"Bis ans Ende der Zeiten versammelst du dir ein Volk", heißt es im dritten Hochgebet der Eucharistiefeier. Gott versammelt sich ein Volk, damit seinem Namen „das reine Opfer dargebracht werde vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang“. In diesem kurzen Abschnitt steckt eine sehr zentrale Einsicht: Glaube ist ein Gemeinschaftserlebnis. Wenn sich Menschen Sonntag für Sonntag versammeln, um miteinander Eucharistie zu feiern, dann ist das ein wichtiger Ausdruck des Glaubens. Denn Glaube ist keine Privatsache, sondern der christliche Glaube besitzt eine öffentliche Dimension. Oder anders gesagt: Kirche ist man immer mit anderen Menschen zusammen und niemals allein.

Diesen Gedanken hat das Zweite Vatikanische Konzil aufgegriffen. Vor sechzig Jahren, am 11. Oktober 1962, wurde es von Papst Johannes XXIII. eröffnet. Das zweite Kapitel der Konstitution über die Kirche, Lumen gentium, ist mit dem Titel „Volk Gottes“ überschrieben. Und an zentraler Stelle heißt es: „Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen“ (LG, Nr. 13). Das Zweite Vatikanum beschreibt die Kirche als Gottesvolk. Darin steckt eine wichtige Einsicht: Denn ein Volk kann niemals ein Mensch allein sein. „Volk“ sind immer mehrere Menschen zusammen. Und so beschreibt schon das Alte Testament das Schicksal jenes Volkes, das Gott sich zum Privateigentum auserwählt hat (vgl. Dtn 7,6). Vielfältig sind die Episoden dieses Gottesvolkes: Seine Herausführung aus dem Land der Knechtschaft, die Zeit der Wüstenwanderung, der Übergang in das Land der Freiheit und so weiter. Und immer sind es viele Menschen, die zusammen und im Miteinander diese Wege gehen. Die versuchen, Gottes Gebot in ihrem Zusammenleben zu verwirklichen, auch wenn das manchmal ein Ringen ist und nicht selten scheitert.

Solidarität unter Christen

Das Neue Testament führt diesen Gemeinschaftsgedanken fort: Denn Jesus sieht es als seinen ureigenen Auftrag, das alte Gottesvolk wieder zu versammeln. So führt Jesus die Menschen zusammen, um mit ihm Mahl zu feiern, um mit ihm unterwegs zu sein, um gemeinsam seiner Verkündigung des Evangeliums zu lauschen. In Christus werden die Menschen so zum neuen Gottesvolk. Und schon in der Apostelgeschichte heißt es über die noch junge Kirche: „Die Menge derer, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.“ (4,32) Die Gemeinschaft, die aus dem gemeinsamen Glauben erwächst, findet ihren konkreten Ausdruck in der gelebten Solidarität füreinander. Durch die Taufe werden Menschen Mitglieder dieses Gottesvolkes, sie werden hineingenommen in die Gemeinschaft der Glaubenden. Deswegen ist der christliche Glaube auch immer mit dieser Gemeinschaft verbunden: Kirche kann niemand für sich allein sein, sondern Kirche zielt auf das Miteinander von Menschen, die zusammen beten und die füreinander eintreten.

Diese Gemeinschaft wird besonders in der Feier der Eucharistie deutlich, zu der Gott die Getauften als sein Volk versammelt. Im sonntäglichen Taufgedächtnis und im gemeinsamen Sprechen des Credo kommt zum Ausdruck, dass die Eucharistie die Gemeinschaft aller Glaubenden ist. Die Eucharistie verbindet die Ortsgemeinde mit der ganzen Kirche und mit der Kirche des Himmels; deswegen beten wir im Hochgebet für die Weltkirche, für die Verstorbenen und denken an die Heiligen. Eucharistie ist aber auch Gemeinschaft mit allen Menschen: In den Fürbitten werden die Notlagen der ganzen Welt vor Gott gebracht, die Kollekte ist schließlich Ausdruck einer gelebten Solidarität für die Notleidenden. So ist die ganze Eucharistiefeier geprägt vom Bewusstsein, dass der christliche Glaube auf Gemeinschaft zielt.

Die Pflicht, sich zu versammeln

Weil die sonntägliche Eucharistiefeier der konkrete Ausdruck dieser Gemeinschaft ist, gibt es in der Kirche die sogenannte „Sonntagspflicht“. Darunter versteht man, dass jeder getaufte Christ am Sonntag den Gottesdienst seiner Gemeinde besuchen muss. Der Begriff „Pflicht“ klingt dabei sehr unpassend, denn der Glaube beruht doch auf Freiwilligkeit. Und jeder kann und soll doch selbst entscheiden, wann und ob er oder sie zum Gottesdienst geht oder nicht. Doch hinter dieser „Sonntagspflicht“ steckt eben der Gedanke, dass der christliche Glaube nie etwas rein Individuelles ist. Sondern dass wir uns als Kirche am Sonntag versammeln müssen, um uns immer neu bewusst zu werden, dass wir als „Volk Gottes“ unterwegs durch diese Zeit sind. Dass wir gemeinsam und miteinander den Glauben leben und dass wir füreinander eintreten müssen, wenn es nötig ist. Deswegen könnte man auch einfach sagen: Als Christinnen und Christen haben wir die Pflicht, uns zu versammeln, weil wir Teil des Gottesvolkes sind. Und die Gemeinschaft dieses Volkes wird besonders in der Feier der Eucharistie am Sonntag konkret erfahrbar. Die gemeinschaftliche Feier unseres Glaubens ist uns ins Stammbuch geschrieben. (Fabian Brand)