So wie „Stille Nacht“ ist es eines der bekanntesten Weihnachtslieder, das weltweit gesungen wird: „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! ...“ Es gehört zu den Liedern, die in einer Christmette oder an Weihnachten kaum fehlen dürfen.
Die Geschichte der Entstehung des Liedes erklärt vielleicht, warum es bis heute gesungen wird: Es geht zurück auf Johannes Daniel Falk (1768–1826), der als Schriftsteller und Theologe in Weimar lebte. Zur Melodie eines sizilianischen Marienliedes schrieb Falk 1815 den Text des Liedes, das damals noch anders aufgebaut war. Es hatte ursprünglich drei Strophen – eine zu Weihnachten, eine zu Ostern und eine zu Pfingsten – und Falk wollte damit den Kindern des Waisenhauses den Festkreis der Kirche näherbringen. Von diesen ursprünglichen Strophen ist uns heute noch die erste bekannt, die anderen beiden heute gebräuchlichen Strophen kamen etwas später von Heinrich Holzschuher dazu.
Weihnachtsglauben gegen Weltuntergangsstimmung
Die Melodie klingt fast hymnisch, etwas getragen und zugleich beschwingt, und versetzt uns in Festtagsstimmung. In der ersten Strophe ist bei diesem musikalischen Grundton der Text doch irritierend, wenn es heißt: „Welt ging verloren, Christ ist geboren“. Das klingt nun doch – auch wenn man es eschatologisch versteht – nicht wirklich nach einer „o so fröhlichen“ Zeit. Ein Blick in die Zeit- und Lebensgeschichte des Autors macht es verständlicher: 1815 – die napoleonischen Kriege sind gerade vorbei – kümmern sich Johannes Daniel Falk und seine Frau Caroline Falk in Weimar um Kriegswaisen, nehmen diese zuerst in ihrem Haus auf und gründen mit Freunden ein Waisenhaus.
In den Jahren des Krieges sind vier ihrer sieben Kinder verstorben. Trotz ihres eigenen Leids kümmern sie sich um andere. Die aufkommende Hoffnung nach dem Kriegsende wird getrübt, als im April 1815 in Indonesien der Vulkan Tambora ausbricht, was weltweit eine Klimakatastrophe auslöst, das „Jahr ohne Sommer“ mit Überflutungen, Temperatureinbrüchen und Schnee. Es folgen Missernten und Hungersnöte. Nein, wahrlich keine fröhliche Zeit, vielleicht eher Weltuntergangsstimmung: „Welt ging verloren“. Dagegen setzt Falk den Weihnachtsglauben in Kurzfassung, nämlich: „Christ ist geboren: Freue, freue dich o Christenheit!“
Gemeinsame Lebens- und Zeiterfahrung
Wenn ich mir die Entstehungsgeschichte dieses Liedes klarmache, dann kann ich die Spannung zwischen Melodie und Text, zwischen Strophe und Refrain besser verstehen. Vielleicht ist das Lied ja auch deshalb fest in unseren Traditionen verankert, weil man eben spüren kann, dass hinter diesem Text eine intensive Lebens- und Zeiterfahrung steht. Und vielleicht ist es genau deshalb auch ein gutes Lied für unser Weihnachtsfest 2020.