Erinnerung an Heilige

Warum Katholiken heute noch Reliquien verehren

Die Hirnschale des heiligen Sebastian führte im Mittelalter große Pilgerströme nach Ebersberg. Dieser Hype ist lange vorbei. Pfarrer Josef Riedl erklärt, warum Reliquien trotzdem noch Bedeutung haben.

Büstenreliquiar des heiligen Sebastians in Ebersberg © EOM

Seit dem Jahr 931 verwahrt Ebersberg die Hirnschale des heiligen Sebastian. Seitdem war die kostbare Reliquie Ziel vieler Pilgerströme, vor allem in der Pestzeit des Mittelalters und in der Zeit der Gegenreformation, als die Jesuiten in Ebersberg residierten und die Wallfahrt noch einmal zu großer Blüte führten. Aus den wenigen noch vorhandenen Quellen lässt sich nur erahnen, welche Bedeutung die Wallfahrt zum heiligen Sebastian nach Ebersberg für den südbayerischen, wenn nicht sogar den süddeutschen Raum hatte.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde unter den Jesuiten sogar eine eigene, besonders reich gestaltete Kapelle, die Sebastianskapelle, als Ort der Verwahrung und Verehrung der Reliquie errichtet. Einige wenige Pilgergaben, die den Sturm der Säkularisation überstanden haben, zeugen heute noch vom Gewicht der Verehrung des heiligen Sebastian und der Reliquie.

Reliquienverehrung heute

Von alledem ist heute nicht mehr viel übrig. Es kommen nur noch einige wenige Wallfahrergruppen nach Ebersberg, um ihre Anliegen dem heiligen Sebastian anzuvertrauen. Wenn ich heute mit Wallfahrergruppen oder bei Kirchenführungen in die Sebastianskapelle gehe, kommt fast immer die Frage nach der Echtheit der Reliquie auf: „Ist das wirklich die Schädeldecke des heiligen Sebastian?“ In unserem modernen wissenschaftlichen Sinn ist die Frage nicht zu beantworten. Eine Untersuchung in dieser Richtung gab es zuletzt auf Betreiben von Kardinal Faulhaber und Papst Pius XI. im Jahr 1928. Diese Prüfung bestätigte, dass die Ebersberger Reliquie auf alle Fälle mit der übrigen Kopfreliquie in Quattro Coronati in Rom zusammenpasst, die dort in einem versiegelten Messingbehälter aufbewahrt wird. Alles andere gehört in den Bereich einer großen Wahrscheinlichkeit, weil die Verehrung des heiligen Sebastian, die an einen mutigen Glaubenszeugen erinnert, schon sehr früh einsetzte.

Zeugnis für die Kraft des Glaubens

Diese historische Gestalt des Sebastian als mutiger Glaubenszeuge und sein Handeln aus dem Glauben sind mir wichtig. Als solcher kann er uns heute Mutmacher und Inspirator sein – nicht im Sinne einer einfachen Nachahmung, sondern mit der immer wieder neu zu stellenden Frage: Wie kann ich heute, in der Zeit, in der ich lebe, Zeugnis für die Kraft des Glaubens geben?

Und ein zweiter Aspekt hängt damit eng zusammen: Die Kraft des Glaubens und der daraus erwachsende Lebensmut kommen aus der Verbundenheit mit Jesus Christus. Zu ihm hin wollen uns die Heiligen mit auf den Weg nehmen – als Wegbegleiter und Verbündete. Wir sind unterwegs in einer großen Schar von Gott-Suchern und Gott-Findern (vgl. Hebräerbrief 12,1).

Gemeinschaft aller Glaubenden

Damit bekommt auch alle Reliquienverehrung einen stimmigen Rahmen: Die Reliquien werden zu sinnfälligen Zeichen der Verbundenheit mit und der Erinnerung an den großen Strom der Gläubigen durch die Jahrhunderte. Die Reliquie ist kein magisches Zaubermittel gegen alle möglichen kleinen oder großen Wehwehchen, sondern Erinnerung an einen ganz konkreten Menschen mit seiner Lebens- und Glaubensgeschichte.

In diesem Sinn kann ich auch heute noch den Wallfahrern und Pilgern, die nach Ebersberg kommen, einen sogenannten Sebastianspfeil, das alte, seit dem Ende des 16. Jahrhundert gebräuchliche Wallfahrtszeichen, mitgeben: ein Ausdruck des Vertrauens und der Stärkung aus dem Glauben an den auferstandenen Jesus Christus in der großen Gemeinschaft aller Glaubenden. (Pfarrer Josef Riedl)