Zeit "zwischen den Jahren"

Warum die "Rauhnächte" Menschen heute (wieder) ansprechen

Um die Jahreswende haben viele das Bedürfnis, das alte Jahr ausklingen zu lassen und sich neu zu sortieren. Früher wurde in dieser Zeit der "Rauhnächte" ein eigenes Brauchtum gepflegt, heute entstehen neue Formen.

Die Kirche St. Andrä in Etting⁠ bei Nacht. © T.Linack-stock.adobe.com⁠

In turbulenten Zeiten ist die Sehnsucht nach Ruhe und Innehalten groß. Intuitiv schalten viele in ihrem Weihnachtsurlaub einen Gang herunter, lassen das alte Jahr Revue passieren und schmieden Pläne für die kommenden Monate.

Die Tage um die Jahreswende wurden früher als "Rauhnächte" bezeichnet, die mit eigenem Brauchtum begangen wurden. Heute entdecken Menschen die Zeit zwischen den Jahren neu; es gibt Bücher, Seminare und Onlineangebote, die zur achtsamen Gestaltung dieser Auszeit einladen. Offenbar treffen diese Angebote zum Innehalten und Reflexion einen Nerv. Die Diplom-Psychologin Tanja Köhler bietet seit drei Jahren Online-Kurse zum Thema Rauhnächte an. Allein in diesem Jahr hätten bereits rund 600 Menschen Vorgespräche zu ihren beiden Seminare geführt - "das überrennt mich geradezu", stellt Köhler fest.

Pandemie und Krieg verstärken Sehnsucht nach Innehalten

In einer Zeit, die als immer schneller und als "Alltags-Tsunami" wahrgenommen werde, sei der "Wunsch nach innerer Sortierung" sehr groß, beobachtet die Expertin aus dem baden-württembergischen Denkingen. Die "Sehnsucht nach Innehalten" werde verstärkt durch Krisen wie die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg. Zugleich entdeckten die Menschen alte Rituale neu.

Die Zeit zwischen Weihnachten und dem 6. Januar galt früher als besondere Zeit - verbunden mit dem beunruhigenden Gefühl, sich außerhalb der Zeit zu befinden. Denn das Jahr der Germanen umfasste 354 Tage; verglichen mit dem darauffolgendem Sonnenjahr, das 365 Tage hat, fehlten am Jahresende elf Tage oder zwölf Nächte. Man glaubte, dass nun die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt seien, dass Dämonen und Geister ihr Unwesen trieben und die Grenzen zu anderen Welten fielen. Auch heute glauben manche Menschen, dass die Zeit der Rauhnächte eine besondere spirituelle Qualität hat, dass besondere Energien am Werk sind.

Rückblick und Ausblick auf das Jahr

Köhler weiß, dass den Rauhnächten "magische Kräfte" zugesprochen werden. "Diese besondere Wahrnehmung schaffen wir uns selbst, indem wir uns uns selbst zuwenden - das Besondere in dieser Zeit sind wir", sagt sie. Köhlers Ansatz sei deshalb "komplett unesoterisch". Aber die traditionellen Fragen und Themen zum Jahresrück- und ausblick seien "einfach großartig". Für jeden der zwölf Abende wird ein Thema in den Blick genommen.

In ihren Kursen stellt sie Impulsfragen, etwa zum Thema Dankbarkeit oder dem Loslassen von Dingen, die einem nicht mehr gut tun. Sie leitet auch an, in sich schlummernde Wünsche und Sehnsüchte aufzuspüren und diese im neuen Jahr umzusetzen. Neben einem bewussten, dankbaren Abschiednehmen gehe es auch um Vorfreude auf das kommende Jahr. Wann sonst im Jahr habe man schon die Gelegenheit, "sich so viel Zeit zu nehmen, um sich ganz mit sich und den persönlich anstehenden Themen zu beschäftigen?".

Tradition des Räucherns weckt Interesse

Neben der Innenschau um den Jahreswechsel erfährt heute auch das Räuchern neue Aufmerksamkeit. Einst versuchten sich die Menschen während der Rauhnächte gegen vermeintlich unheilvolle Kräfte des Übergangs um den Jahreswechsel zu schützen, indem sie Haus und Hof mit Weihrauch ausräucherten. Eine Tradition, an die Karin Krautkrämer am Jahresende anknüpft.

Die Gartenbauingenieurin bietet im Kloster Marienstatt "Räuchern mit Harzen und Kräutern" an. Einst wurden dafür heimische Kräuter sowie Harze von Kiefern, Tannen und Fichten benutzt; teuren Weihrauch konnten sich Bauern nicht leisten, weiß die Expertin. Das Räuchern sollte aufgrund seiner desinfizierenden Wirkung Krankheiten und Böses fernhalten.

"Düfte sind das Tor zur Seele", erläutert Krautkrämer. Das Räuchern mit Harzen und Kräutern unterstütze das Wohlbefinden. Manche Harze wie die von Sandel- und Zedernholz hätten eine "wärmende Wirkung", deshalb vermittle das Räuchern auch ein "Gefühl von Geborgenheit". Sie beobachtet bei vielen Menschen ein Bedürfnis, "zur Ruhe zu kommen und bei sich zu sein".

Um dies zu unterstützen, lernen die Teilnehmer in ihrem Workshop verschiedene Duftnuancen kennen und stellen Räucherwerk für den eigenen Gebrauch her. Denn gekaufte Produkte wie Räucherkegel enthielten viel Streckmaterial und Farbstoffe. "Davon bekommt man eher Kopfschmerzen als ein Wohlgefühl", sagt Krautkrämer. (smb/kna)