Erotik in der Bibel

Von süßen Bräuten und heißen Küssen

Anziehung, Begierde und Sexualität kommen auch im Alten und Neuen Testament vor, und zwar längst nicht nur als Umschreibung für Gottes Verhältnis zu seinem Volk. Lassen Sie sich von Balsamdüften und köstlichen Früchten verführen.

„Susanna und die Alten“, Gemälde von Guercino, 1617 (Bild: KNA) © KNA

Die Bibel wäre wohl nicht das erste Buch, das ein Mensch von heute aufschlägt, um darin sinnliche Liebesgeschichten, sexuelle Anspielungen oder gar erotische Liebeslyrik zu suchen.

Landläufig herrscht doch immer noch der Eindruck, dass unsere Religion mit Erotik, Sex und so weiter nicht viel am Hut hat. Unsere Kirche war jahrhundertelang geprägt von einer sehr einseitigen Leibfeindlichkeit und Verteufelung der sexuellen Urkräfte im Menschen. Eher prüde hat sie viel von Liebe, Treue und Fortpflanzung zu sagen gewusst, sexuelle Lust und erotische Anziehung hingegen waren lange Zeit als gefährlich und sündhaft eingestuft. Lust und Freude an der körperlichen Seite der Liebe wurden argwöhnisch betrachtet, die Frau oft zur Verführerin und der Mann zum leicht Verführbaren abgestempelt.

Ist sexuelle Lust Sünde?

Schade eigentlich und schädlich! Denn so entstand eine negativ wertende Schieflage, die so gar nichts mit der biblischen Sichtweise der Dinge zu tun hat. Es stimmt zwar, dass die Bibel über Liebe, Sex und Partnerschaft oft aus dem Blickwinkel der Regelungen und der allgemeinen Sittlichkeit spricht. Aber das tut sie nicht auf Grund von Ablehnung, sondern sie geht dabei von einer tiefgreifenden, selbstverständlichen Anerkennung der Tatsache aus, dass wir Menschen als sexuelle Wesen geschaffen sind, aufeinander verwiesen gerade auch durch erotische Anziehung.

Am schönsten kommt das zum Ausdruck darin, dass im Ersten Testament ein ganzes Buch erotischer Liebeslyrik Eingang gefunden hat: das Hohelied. Die Kirchenväter wie Gregor von Nyssa haben sich zwar redlich bemüht, diese Liebesgedichte irgendwie auf die Beziehung zwischen Gott und seiner Kirche hinzudeuten, aber jeder, der diese Texte mit unseren unverstellten Augen von heute liest, begreift sehr gut: Hier ist ganz direkt von erotischer Anziehung und körperlicher Liebe die Rede. Sprachlich wunderschön, poetisch, oft mit Symbolen, die sich uns nicht immer ganz erschließen, aber doch zu uns sprechen:

„Schön bist du, meine Freundin, ja, du bist schön. Hinter dem Schleier deine Augen wie Tauben … Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge einer Gazelle, die in den Lilien weiden.“ (Hld 4,1ab.5)

„Komm, mein Geliebter, wandern wir auf das Land, schlafen wir in den Dörfern. Früh wollen wir dann zu den Weinbergen gehen und sehen, ob der Weinstock schon treibt, ob die Rebenblüte sich öffnet, ob die Granatbäume blühen. Dort schenke ich dir meine Liebe.“ (Hld 7,12f)

„Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich. Süßer als Wein ist deine Liebe.“ (Hld 1,2)

„Ein Apfelbaum unter Waldbäumen ist mein Geliebter unter den Burschen. In seinem Schatten begehre ich zu sitzen. Wie süß schmeckt seine Frucht meinem Gaumen!“ (Hld 2,3)

„Sein Mund ist voll Süße; alles ist Wonne an ihm.“ (Hld 5,16a)

„Nordwind, erwache! Südwind, herbei! Durchweht meinen Garten, lasst strömen die Balsamdüfte! Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse von den köstlichen Früchten.“ (Hld 4,16)

„Ich komme in meinen Garten, Schwester Braut; ich pflücke meine Myrrhe, den Balsam; esse meine Wabe samt dem Honig, trinke meinen Wein und die Milch. Freunde, esst und trinkt, berauscht euch an der Liebe!“ (Hld 5,1)

All das Reden von Düften, sich öffnenden Blüten und genossenen Früchten, von geöffneten Waben und Süßigkeit … Ich überlasse es der Phantasie des Lesers, sich selbst zu deuten, was diese Bilder sagen wollen. Altorientalische erotische Liebeslyrik vom Feinsten! Und mit Sicherheit nicht versehentlich in unsere Heilige Schrift geraten. Wir dürfen dieses Buch durchaus als religiöses Statement verstehen. Es sagt uns: Erotik ist etwas Schönes, von Gott Gewolltes und Geschaffenes.

Unkontrollierbare Begierde

Natürlich gibt es auch eine Reihe von Erzählungen, die Erotik von ihrer problematischen und gefährlichen Seite zeigen: Da ist zum Beispiel König David, im Grunde bereits mit einem Harem voller Frauen ausreichend versorgt, der Batseba, die Frau des Urija, beim Baden beobachtet. Das höher gelegene Dach des Königspalastes ermöglicht ihm den Blick auf deren nackte Schönheit. Er ist hin und weg – und das Begehren übernimmt das Denken. Er lässt Urija töten, um diese Frau zu besitzen. Batseba bleibt bei all dem merkwürdig passiv. Sie hat weder Aktion noch Stimme in der bekannten Geschichte.

Ganz ähnlich geht es der schönen Susanna, die in Babylon von zwei Richtern mit lüsternen Blicken verfolgt wird, ebenfalls während ihres Bades. Auch sie löst durch ihre erotische Ausstrahlung bei den Männern eine Begierde aus, der sie nicht Herr werden. Das erotische Bild der nackten Frau beim Baden kippt in eine sehr unschöne Geschichte von sexueller Nötigung und falscher Anklage, die nur wegen der Weisheit des Daniel und des festen Glaubens der Susanna gut ausgeht. (Dan 13) Zwei Geschichten von Frauen als Objekte der unkontrollierten Begierde mächtiger Männer.

Ganz anders ist es bei Judith, die im gleichnamigen Buch die Vernichtung ihres Volkes abwendet, indem sie Holofernes, den Heerführer des Nebukadnezzar, sehr geschickt mit ihren Reizen verführt. Sie macht sich zurecht, legt schöne Kleider und Schmuck an und signalisiert ihm Verehrung und Aussicht auf mehr. Als er darauf hereinfällt, schlägt sie ihm den Kopf ab. Diesmal ist die Frau die Akteurin und setzt ihre Reize ohne Skrupel und recht aggressiv für ihre Zwecke ein – und wird zur Heldin ihres Volkes.

Eine sehr eindeutige Aktion

Wieder ganz anders geht Rut mit ihren weiblichen Reizen um: Nachdem sie als junge Witwe ihrer Schwiegermutter in deren Heimatland folgt, sind beide erst einmal auf Almosen von Verwandten angewiesen. Nachdem Boas, einer dieser weitläufigen Verwandten, ihr Unterstützung signalisiert, schickt ihre Schwiegermutter sie zu ihm: „Wasch dich, salbe dich, und zieh dein Obergewand an, dann geh zur Tenne! Zeig dich aber dem Mann nicht, bis er fertig gegessen und getrunken hat. Wenn er sich niederlegt, so merk dir den Ort, wo er sich hinlegt. Geh dann hin, deck den Platz zu seinen Füßen auf und leg dich dorthin!“ (Rut 3,3f) Die sehr eindeutige Aktion endet mit einer Hochzeit und einer guten, gesicherten Zukunft für beide Frauen.

Immer wieder begegnet uns im Ersten Testament die Frau mit ihrer erotischen Ausstrahlung als Gefahr und Verführung der Männer, mit positiven oder negativen Folgen. Männliche Erotik bleibt uns die Bibel jedoch außer im Hohelied eher schuldig. Zwar wird David zum Beispiel durchaus als attraktiv beschrieben: „David war noch sehr jung, er war blond und von schöner Gestalt.“ (1 Sam 17,42b) Aber über seine erotische Wirkung auf andere folgt dann nicht mehr viel. Die Bibel ist eben hauptsächlich aus der Sicht der Männer geschrieben.

Gerechtigkeit und Friede küssen sich

Eine völlig andere Art, erotische Bilder symbolisch einzusetzen, finden wir in der Bibel aber auch: Immer wieder wird das Verhältnis Gottes zu seinem Volk wie das des Bräutigams zu seiner Braut beschrieben – zum Beispiel bei Jeremia: „So spricht der Herr: Ich denke an deine Jugendtreue, an die Liebe deiner Brautzeit, wie du mir in der Wüste gefolgt bist, im Land ohne Aussaat.“ (Jer 2,2)

Oder auch im Zweiten Testament: „Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat.“ (Offb 21,2)

In Psalm 85 finden wir die Aussage: „Gerechtigkeit und Friede küssen sich.“ – Bilder aus der selbstverständlich vertrauten Welt der Erotik, die etwas über Gott und seine Verheißung aussagen wollen.

Die Salbung Jesu durch die Sünderin

Im Zweiten Testament, also in den Geschichten um Jesus, spielt das Element der Erotik keine große Rolle. Aber die Basis ist ja zuvor schon gelegt und immer noch gültig, auch für Jesus und seine Jünger.

Obwohl: Wenn ich mir die Geschichte von der Salbung Jesu durch die Sünderin vor Augen führe: Eine Sünderin kam „mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.“ (Lk 7,37f) … Das ist doch schon ein sehr erotisches Bild, oder? (Susanne Deininger)

Susanne Deininger ist Autorin des Textes. Sie ist Pastoralreferentin im Pfarrverband Dachau-St. Jakob.