MK-Mitarbeiterin übernachtet bei WJT-Pilgern

Von Fremden zu Freunden

Kurz bevor mein Selbstversuch „Fremde beherbergen“ beginnt, sitze ich in meinem Studentenzimmer und bin ziemlich aufgeregt. Ich werde in einer Pfarrei eine Gruppe ecuadorianischer Weltjugendtags-Pilger willkommen heißen. Viele Fragen sind in meinem Kopf: Wie wird die Verständigung klappen? Wie kann ich den Gästen zeigen, dass sie in Deutschland herzlich willkommen sind?

Als drei Ecuadorianerinnen mit Theresia Lipp (Zweite von rechts) auf dem Matratzenlager ein Selfie machen, bricht das Eis. (Bild: privat) © privat

Mit Sack und Pack mache ich mich auf den Weg. In der Pfarrei St. Sebastian in Schwabing, wo der Abend mit einem Grillfest beginnt, bin ich selbst eine Fremde. Ich muss zuerst nachfragen, wo ich hingehen muss. Neugierig beäugen die beiden älteren Damen in der Pfarrbücherei die junge Frau, die kein Bairisch spricht. Nachdem ich auf ihre Anweisung hin einen Blick in die Bibliothek geworfen habe, verraten sie mir den Weg. „Kommen’S einmal vorbei!“, hallt es mir hinterher.

Eine Treppe hinauf und ich stehe vor dem Pfarrsaal. Draußen wird bereits eifrig gegrillt, von drinnen ertönt lauter Gesang. „De san scho alle drin“, berichtet mir ein junger Mann. „Wer?“, frage ich. „Na, die Ecuadorianer!“ Ich öffne die Tür und platze mitten in einen Gottesdienst. Obwohl er auf Spanisch ist, weiß ich sofort, dass gerade der Friedensgruß stattfindet. Ich ziehe mich in eine Ecke zurück und staune, dass der zuständige Pfarrer Johannes Oberbauer die Messe in der Landessprache feiert. Vier Pilger begleiten die Liturgie mit Gitarre und Gesang, eine junge Frau sticht mit ihrer schönen, kräftigen Stimme besonders hervor. Am Ende der Feier tritt Schwester Wilburgis Lütke-Stetzkamp von der Missionarischen Fraternität „Verbum Dei“ nach vorne. „Fremde zu beherbergen, ist keine Selbstverständlichkeit“, beginnt sie, „vor allem in Deutschland, wo das gerade so ein großes Thema ist.“ Die gebürtige Deutsche lebt seit 15 Jahren in Ecuador und begleitet die Pilgergruppe. Begeistert von der selbstverständlichen Gastfreundschaft erzählt sie: „Nach nicht einmal zwei Stunden bekam ich den Schlüssel für das Pfarrheim.“ Offenbar muss ich mir keine Sorgen machen, ob die Südamerikaner sich hier willkommen fühlen.

Das Essen gestaltet sich für mich amüsant. Die Ecuadorianerin gegenüber von mir holt sich einen Teller mit Grillgut und Beilagen, der typischer nicht sein könnte. Größere und kleinere Bratwürste liegen neben drei Häufchen Kartoffel-, Nudel- und grünem Salat. Sie aber raunt ihrem Sitznachbarn zu – so viel kann ich mir herleiten: „Ich weiß nicht, was wir hier essen.“ Nach dem ersten Bissen gibt sie mir zu verstehen, dass die Wurst sehr scharf sei. In Ecuador scheint man anders zu grillen.

Pfarrer Oberbauer verrät mir, dass er sich besonders für die Jugendlichen freue, die hier den „Fremden“ begegnen, was wirklich außerordentlich sei. Als Geheimrezept für eine gelungene Willkommenskultur nennt er „Menschen mit offenem Herzen“. Ein solcher versuche ich an diesem Abend ganz besonders zu sein, habe aber das Gefühl, die Ecuadorianer zeigen mir vielmehr ihr riesengroßes Herz. Kurz bevor wir in Richtung Schlafsaal aufbrechen, wollen mich plötzlich alle umarmen, um sich bei mir zu bedanken. Hilflos versuche ich auf Englisch, Italienisch und dem, was ich für Spanisch halte, zu erklären, dass ich die Nacht bei ihnen verbringe – mit mäßigem Erfolg.

Auf dem Weg zum Pfarrheim Maria vom Guten Rat gesellt sich eine junge Frau zu mir. Wir sprechen über das, worüber eine Ecuadorianerin und eine Deutsche sprechen, wenn sie spätabends durch Schwabing spazieren: die Unterschiede unserer jeweiligen Heimat. Da sich im Südamerika meiner Fantasie die Menschen den ganzen Tag mit Sombreros vor der Sonne schützen, bin ich überrascht, zu erfahren, dass es in ihrem Wohnort Cuenca im Süden von Ecuador aktuell kälter ist als im sommerlichen Deutschland. Dann gewinnt das Gespräch an Tiefe. Sie erzählt mir, dass sie früher zwar katholisch war, ihren Glauben aber nie praktizierte. In einer schweren Krankheit vor einigen Monaten habe sie Gottes Hilfe erfahren. „Es ist ein Wunder, dass ich heute hier sein kann“, sagt sie ernst.

Spätestens als ich meine Luftmatratze aufblase, merken die Letzten, dass ich heute nicht mehr gehe. Ihre Reaktion ist ein warmherziges „¡Bienvenido! Willkommen!“ Einmal mehr an diesem Abend scheinen die „Fremden“ mich aufzunehmen anstatt andersherum. Um die Wartezeit für die wenigen Waschmöglichkeiten zu verkürzen, machen wir auf dem Matratzenlager Selfies. Nach und nach schart sich ein immer größerer Kreis um mich, ich werde mit Fragen bombardiert. Meine Träume für das Leben will Tatiana (Foto: Zweite von links) erfahren, die so wunderschön gesungen hat. Wir reden und lachen bis Mitternacht, bis Schwester Wilburgis das Licht ausmacht.

Dass der Wecker schon wenige Stunden später klingelt, tut der Freundlichkeit der Südamerikaner keinen Abbruch. Ich helfe ihnen, ihr Gepäck zum Bus zu tragen. Endlich kann ich etwas tun, um ihnen den Aufenthalt zu erleichtern. Als sie abfahren, winke ich und viele Hände winken zurück.

Durch das ungewohnt leere München laufe ich zurück zum Wohnheim. Doch etwas hat sich verändert: Mehrere Teilnehmer haben mir Armbänder geschenkt, auf denen steht „I have friends in Ecuador – Ich habe Freunde in Ecuador“. (Theresia Lipp)