Gründe für eine Wallfahrt

Viele werden erst auf dem Weg zum Pilger

Gründe den Jakobsweg zu laufen, gibt es viele. Doch eins verbindet sie letzlich: Der Jakonsweg berührt jeden. Das meint Irmgard Jehle, sie ist Diplom-Theologin und Vizepräsidentin des Bayerischen Pilgerbüros. Im Interview erklärt sie warum.

Pilgern ist eine große Chance für die Weitergabe des Glaubens. (Bild: imago) © imago

MK: Sie begleiten seit vier Jahrzehnten als Reiseleiterin und Seelsorgerin die verschiedensten Pilgerfahrten per Bus, Bahn oder Flugzeug. Mit welchen Wünschen oder Fragen kommen die Pilger?

JEHLE: Die Menschen erleben oft ein Defizit in den Gemeinden. Sie fühlen sich dort nicht mehr so beheimatet. Doch bei den Pilgerfahrten finden sie eine grundlegende christliche Atmosphäre. Anfangs herrscht erstmal ein gegenseitiges Abtasten und Kennenlernen. Doch dann entsteht eine intensive Gemeinschaft. Die Menschen erzählen von ihrem Leben und ihrem Glauben. Sie fragen, je länger die Reise geht, nach einem Priester, mit dem sie reden oder dem sie Fragen stellen können.

MK: Gibt es Veränderungen in der Seelsorge an Pilgern und, falls ja, welche?

JEHLE: Was neu ist, sind Pilger, die Fragen haben. Sie wollen Zeit für Gespräche, nicht nur für Gottesdienst und Gebet. Diesen Wandel stelle ich spätestens seit 2000 fest. Die inhaltliche Gestaltung wird immer anspruchsvoller. In Kevelaer hat mir der zuständige Seelsorgsleiter gesagt: „Hier muss ich jeden Tag einen Gottesdienst feiern, als sei es ein Fest.“

MK: Und wie gehen Sie auf diese veränderten Bedürfnisse ein?

JEHLE: Die Seelsorger und Reiseleiter sind besser ausgebildet. Da überlässt man nichts mehr der Routine. Vorbereitung und Intensität sind schwieriger als früher. Der Priester bezieht sich bei seinen Predigten auf den jeweiligen Ort und geht auf die Fragen der Pilger ein. Die Predigten werden später auch diskutiert – häufig abends, wenn wir zusammensitzen und über den Tag reden.

MK: Sie sehen also im Pilgern eine große Chance für die Weitergabe des Glaubens und für das Christentum?

JEHLE: Oh, ja! Ich meine, Wallfahrten sind die Pastoral im dritten Jahrtausend. Darüber habe ich auch meine Doktorarbeit geschrieben. Damals galt ich damit als Exot. Jetzt wird diese These von vielen vertreten.

MK: Das Pilgern auf dem Jakobsweg boomt nach wie vor. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

JEHLE: Ich merke, wie unterschiedlich die Motive der Menschen sind, die den Jakobusweg gehen: aus religiösem Hintergrund, kulturellem Interesse, sportlicher Motivation, um eine Auszeit zu erfahren. Oft mischen sich die Gründe. Nicht alle beginnen als Pilger, aber viele werden im Laufe des Weges dazu, sei es aufgrund der Begegnungen, der Auseinandersetzung mit sich selbst und der Erfahrungen von Gemeinschaft bei Gesprächen sowie in den Pilgerherbergen. Nicht „der Weg ist das Ziel“, sondern „der Weg hat ein Ziel“ und „er führt zum Ziel“. Denn das Unterwegssein mit der Erwartung der Ankunft ist wichtig. Speziell die Ankunft in Santiago ist etwas Besonderes. Dieser Weg berührt immer. (Das Interview führte Eva-Maria Knappe)

Ich bin keine regelmäßige Pilgerin, malmache ich eine Tageswallfahrt nach Altötting mit, dann wieder geht’s mit Schülern zur Jugend-Korbinianswallfahrt. Bei Altötting wollte ich sehen, ob ich eine solche Strecke schaffen kann und mit den anderen gemeinsam froh in die Basilika einziehe. Toll fand ich es zu erfahren, welche Kraft man nach dem Gehen aus den Kirchenliedern ziehen kann, die man meint, eh schon auswendig zu kennen. Noch nie habe ich so gern mit andern gesungen wie zu diesem Zeitpunkt. Mit den Schülern steht das Erlebnis der Gruppe im Mittelpunkt und zu erfahren, dass es noch einen Haufen Jugendliche gibt, für die Gott und der Glaube eine Rolle spielen. Der Abschlussgottesdienst im Freisinger Dom ist ein mitreißendes Erlebnis. Daniela Klar, 36, Lehrerin aus Pasing.

Ich wallfahre seit 66 Jahren, allein und in der Gruppe. Für mich ist der Glaube etwas Ehrwürdiges. So ein tiefes Erleben von Ehrfurcht empfinde ich oft bei den Wallfahrten. Wenn ich zum Beispiel in Lourdes die vielen Menschen sehe, die in der Prozession gehen oder sich in die Heilbäder begeben, berührt mich das sehr. Ein anderes Beispiel ist die Wallfahrt zum heiligen Valentin von Terni. Dort in der Kirche eine große Menge junger Paare zu erleben, die sich für ihre Hochzeit segnen lassen, empfinde ich als ergreifend. Mein Glaube ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen. Dabei hat mir das Pilgern sehr geholfen. Johann Surrer, 76, Kirchenmusiker aus Ramersdorf

Mir hat das Pilgern geholfen, den Tod meines Mannes zu verarbeiten, der 2005 starb. Ich wollte etwas in Gemeinschaft machen und stieß auf die Pilgerreisen des Bayerischen Pilgerbüros. Ich fand und finde die Gemeinschaft dabei einfach herrlich. Morgens wird man schon mit einer Morgenandacht eingestimmt, später gibt’s oft eine Messe, im Bus wird gebetet und gesungen. Ich habe da so nette Menschen kennengelernt, Freundschaften sind entstanden. Abends haben wir oft ein geselliges Beisammensein. Vielen Christen erscheint das Wallfahren zu fromm. Dabei haben wir auch viel Spaß dabei. Ingrid Drese, 78,Krankenschwester aus Pfaffenhofen

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Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Pilgern: Der Weg ist das Ziel