10. Jahrestag Rücktritt Benedikt XVI.

Theologe Beinert: "Damit hat er das Papsttum entzaubert"

Am 11. Februar 2013 gab Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt bekannt. Für den emeritierten Regensburger Dogmatiker Wolfgang Beinert war das einer der großen Taten des Papstes.

Kardinal Joseph Ratzinger nach seiner Wahl zum Papst Benedikt XVI. auf dem Balkon der Loggia des Petersdoms. © IMAGO / epd

Professor Beinert, wie würden Sie heute mit zeitlichem Abstand den Rücktritt von Benedikt XVI. einordnen?

Wolfgang Beinert: Als einen großen Schritt. Nach Benedikts Tod an Silvester bin ich in den vergangenen Wochen immer wieder gefragt worden: Was bleibt eigentlich von Joseph Ratzinger? Meine Antwort: Das weiß man noch nicht. Das kann man erst später sagen.

Eine seiner ganz großen Taten wird aber sein Rücktritt bleiben. Damit hat er das Papsttum entzaubert. Denn dieses ist keine himmlische Institution, wo der liebe Gott persönlich amtiert. Sondern das ist ein Amt, das ein Mensch besetzt, wie alle anderen Ämter auch. Und dieser Mensch kann hinfällig werden ...

... was Benedikt für sich erkannt hat.

Beinert: Er hatte den großen Mut, dies nicht nur sich einzugestehen, sondern vor aller Welt, und zog entsprechende Konsequenzen. Der letzte freiwillig zurückgetretene Papst war Coelestin V. im Jahr 1294. Dante hat ihn für diese Tat in seiner "Göttlichen Komödie" 1321 in die Hölle gesteckt und sein Vergehen als "große Verweigerung" bezeichnet. Mit diesem Urteil hat der Dichter im Hintergrund die ganze weitere Papstgeschichte beeinflusst. Ratzinger kannte die Geschichte sicher auch - und verzichtete dennoch auf sein Amt.

Ist er damit ein Vorbild?

Beinert: Er wird Vorbild sein, ob er das nun wollte oder nicht. Es bedarf keiner großen Fantasie zu sagen, dass künftige Päpste, die ja wie alle Menschen immer älter werden und auch hinfälliger, jetzt unbefangen mit dem Amt Schluss machen können. Ich kann mir sogar vorstellen, irgendwann in gar nicht so weiter Zeit wird ein Papst eine Ordnung für den Papstrücktritt erlassen. Das ist auch dringend notwendig. Da wird dann festgehalten werden, welche Regeln dabei zu befolgen sind. Da könnte auch eine Altersgrenze drinstehen wie sie schon länger für Bischöfe und Kardinäle gilt.

Vor zehn Jahren meinten Sie, es gebe bei Benedikt noch einige Schätze zu heben. Können Sie jetzt dazu mehr verraten?

Beinert: Na ja. Was er sonst an bleibendem Positiven noch getan hat, kann ich auch jetzt nicht wirklich einschätzen. Vor allem deshalb, weil es nicht so war, wie Benedikt es angekündigt hatte. Denn er wollte ins Kloster, und man sollte nichts mehr von ihm hören, bis er beerdigt wird. Stattdessen hat sich Ratzinger immer wieder eingemischt; vielleicht sollte man besser sagen: Er wurde immer wieder instrumentalisiert. So hat er auf jeden Fall weiter aktiv gewirkt.

Wo sehen Sie vor allem Aufarbeitungsbedarf?

Beinert: Das ist im Moment noch nicht zu beurteilen, welche Auswirkungen es hatte, dass eine Zeit lang "zwei Päpste" nebeneinander gelebt haben. Durch das jüngste Buch von Benedikts Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein, hat sich herausgestellt, dass zwischen Franziskus und Benedikt nicht nur ein Blatt Papier passte, sondern eine ganze Bibliothek. Das sind zwei völlig unterschiedliche Charaktere. Was das für Konsequenzen hatte, wird sich erst noch zeigen.

Sie waren immer ein kritischer Begleiter von Ihrem Habilitationsvater. Hatte er damit ein Problem?

Beinert: Um Rat hat er mich nie gefragt. Aber wir hatten Diskussionen, sogar noch einige wenige in seiner Zeit als Papst. Ratzinger war als Theologe ein außerordentlich liberaler Mensch. Er war die Verkörperung der "Liberalitas Bavarica" (bayerische Freiheit), wie es an der Kirche in Polling bei Weilheim als Inschrift steht. Doch die Argumentation musste im großen Raum des Glaubens geschehen. So lange war alles okay. Ob man an der rechten äußeren oder linken äußeren Seite stand, das hat er alles gelten lassen. "Man wird doch als Theologe verschiedener Meinung sein können", sagte er einmal zu mir. Sobald man aber diesen Raum seiner Ansicht nach verließ, war er beinhart.

Bevor Sie Ihre Habilitation bei Ratzinger in Tübingen begannen, hatten Sie zuvor in Rom studiert. Hat er Sie das spüren lassen?

Beinert: Durchaus. Bei manchen Fragen, die er an der Uni seinen Studenten stellte, meinte er, auf meine Antwort verzichten zu können. Er tat das mit der Bemerkung: "Sie brauche ich ja nicht zu fragen, Sie antworten eh als Römer." Das hat mich verletzt. Weil ich gar nicht diese Antwort hatte, die er erwartete. Ich empfand das als Unterstellung und übergriffig. Für einen, der tatsächlich in Rom war und differenziert zu denken gelernt hatte, war das eine Zumutung. Später haben wir uns diesbezüglich beide besser verstanden. (Das Interview führte Barbara Just von der Katholischen Nachrichten-Agentur)

Zur Person


Der Regensburger Dogmatiker Wolfgang Beinert ist am 4. März 1933 geboren. Der 89-Jährige wurde 1959 in Rom zum Priester geweiht.  Von 1972 bis 1978 war er Professor für Dogmatik an der Ruhr-Universität Bochum. Von 1978 bis 1998 war Beinert Ordinarius für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg.   Er war ein langjähriger Weggefährte von Joseph Ratzinger.