Professor Beinert, wie würden Sie heute mit zeitlichem Abstand den Rücktritt von Benedikt XVI. einordnen?
Wolfgang Beinert: Als einen großen Schritt. Nach Benedikts Tod an Silvester bin ich in den vergangenen Wochen immer wieder gefragt worden: Was bleibt eigentlich von Joseph Ratzinger? Meine Antwort: Das weiß man noch nicht. Das kann man erst später sagen.
Eine seiner ganz großen Taten wird aber sein Rücktritt bleiben. Damit hat er das Papsttum entzaubert. Denn dieses ist keine himmlische Institution, wo der liebe Gott persönlich amtiert. Sondern das ist ein Amt, das ein Mensch besetzt, wie alle anderen Ämter auch. Und dieser Mensch kann hinfällig werden ...
... was Benedikt für sich erkannt hat.
Beinert: Er hatte den großen Mut, dies nicht nur sich einzugestehen, sondern vor aller Welt, und zog entsprechende Konsequenzen. Der letzte freiwillig zurückgetretene Papst war Coelestin V. im Jahr 1294. Dante hat ihn für diese Tat in seiner "Göttlichen Komödie" 1321 in die Hölle gesteckt und sein Vergehen als "große Verweigerung" bezeichnet. Mit diesem Urteil hat der Dichter im Hintergrund die ganze weitere Papstgeschichte beeinflusst. Ratzinger kannte die Geschichte sicher auch - und verzichtete dennoch auf sein Amt.
Ist er damit ein Vorbild?
Beinert: Er wird Vorbild sein, ob er das nun wollte oder nicht. Es bedarf keiner großen Fantasie zu sagen, dass künftige Päpste, die ja wie alle Menschen immer älter werden und auch hinfälliger, jetzt unbefangen mit dem Amt Schluss machen können. Ich kann mir sogar vorstellen, irgendwann in gar nicht so weiter Zeit wird ein Papst eine Ordnung für den Papstrücktritt erlassen. Das ist auch dringend notwendig. Da wird dann festgehalten werden, welche Regeln dabei zu befolgen sind. Da könnte auch eine Altersgrenze drinstehen wie sie schon länger für Bischöfe und Kardinäle gilt.
Vor zehn Jahren meinten Sie, es gebe bei Benedikt noch einige Schätze zu heben. Können Sie jetzt dazu mehr verraten?
Beinert: Na ja. Was er sonst an bleibendem Positiven noch getan hat, kann ich auch jetzt nicht wirklich einschätzen. Vor allem deshalb, weil es nicht so war, wie Benedikt es angekündigt hatte. Denn er wollte ins Kloster, und man sollte nichts mehr von ihm hören, bis er beerdigt wird. Stattdessen hat sich Ratzinger immer wieder eingemischt; vielleicht sollte man besser sagen: Er wurde immer wieder instrumentalisiert. So hat er auf jeden Fall weiter aktiv gewirkt.