Missbrauch in der katholischen Kirche

Studie zeigt Vertuschung und Missbrauch durch Bischof Stehle

Er soll Missbrauchstätern bei der Flucht nach Lateinamerika geholfen haben und auch selbst übergriffig gewesen sein - eine Untersuchung erhebt schwere Vorwürfe gegenüber dem früheren Geschäftsführer von Adveniat.

Eine neue Untersuchung belastet den früheren Geschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Emil Stehle schwer. © Cozine - stock.adobe.com

Essen/Bonn – Eine neue Untersuchung belegt, dass der frühere Geschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat und spätere Bischof Emil Stehle Missbrauchstäter aus Deutschland in seinem Bistum in Ecuador vor Strafverfolgung geschützt hat. Außerdem werden gegen Stehle (1926-2017) selbst insgesamt sechzehn Meldungen und Hinweise zu übergriffigem Verhalten und sexuellem Missbrauch Minderjähriger aufgelistet.

Straftäter nach Lateinamerika entsandt

Nach Vorwürfen, die Ende 2021 bei der Vorstellung der Missbrauchsstudie des Bistums Hildesheim bekannt wurden, hatten die Deutsche Bischofskonferenz und Adveniat eine Untersuchung der Akten der Koordinationsstelle "Fidei Donum" in Auftrag gegeben. Unter dem Namen "Fidei Donum" sind seit den 1960-er Jahren etwa 400 Priester aus Deutschland nach Lateinamerikas entsandt worden. Der aus dem Erzbistum Freiburg stammende Stehle war Leiter der Koordinationsstelle und später Bischof von Santo Domingo in Ecuador.

Aus dem am Montag in Bonn und Essen veröffentlichten Bericht der Kölner Rechtsanwältin Bettina Janssen ergibt sich, dass Stehle Priester, die in Deutschland wegen sexualisierter Gewalt strafrechtlich verfolgt wurden, dabei unterstützt hat, sich den Strafverfolgungsbehörden zu entziehen.

Übergriffiges Verhalten

Die Vorwürfe sexueller Übergriffe durch Stehle selbst ziehen sich laut Bischofskonferenz und Adveniat durch seine Zeit als Priester in Kolumbien, als Leiter der Koordinationsstelle und Adveniat-Geschäftsführer in Essen sowie später als Weihbischof von Quito und als Bischof von Santo Domingo in Ecuador. Stehle habe sich oft unter Zuhilfenahme von Alkohol seinen Opfern genähert und gegenüber Mitarbeiterinnen ein grenzverletzendes Verhalten mit Berührungen und Umarmungen gepflegt, heißt es im Bericht. Zu den Betroffenen gehört auch eine Frau, die möglicherweise von Stehle selbst gezeugt wurde.

Laut der Untersuchungen gab es erste Meldungen von Betroffenen bereits 2003 an die Deutsche Bischofskonferenz sowie 2005 an das Erzbistum Freiburg, wo Stehle nach seiner Emeritierung lebte. Stehle habe übergriffiges Verhalten eingeräumt. Ihm wurde ein Schmerzensgeld auferlegt sowie jegliche Tätigkeit im diözesanen Auftrag untersagt.

Vorwurf der Aktenfälschung

Janssen betonte, es sei möglich, dass es weitere sexuelle Übergriffe durch Stehle gab: "Auch kann es durchaus sein, dass Stehle weiteren Priestern in Lateinamerika zur Tarnung verhalf, was aber in den Akten, weil heikel, nicht dokumentiert war." Sie forderte, zusammen mit den zuständigen lateinamerikanischen Bistümern weitere mögliche Betroffene zu suchen. Außerdem müsse die Frage geklärt werden, inwieweit Stehles Taten kirchlichen Stellen bekannt waren und was sie dagegen getan haben. Auch in Deutschland seien weitere Aktenrecherchen nötig.

Laut Studie hat Stehle mindestens drei Priester in den 1970-er Jahren dabei unterstützt, sich den in Deutschland anhängigen Strafverfahren zu entziehen. In zwei Fällen wurden die Priester wegen Sexualdelikten an Minderjährigen gesucht, in einem war der Tatvorwurf den Akten nicht zu entnehmen. Durch Namenscodierungen, Tarnadressen und Unterhaltshilfen habe Stehle dafür gesorgt, dass sie verdeckt in Lateinamerika bleiben konnten, heißt es.

Untersuchungsbericht muss Konsequenzen nach sich ziehen

Der heutige Leiter der Koordinationsstelle Fidei Donum, Martin Maier, der auch Hauptgeschäftsführer von Adveniat ist, zeigte sich tief erschüttert über die Erkenntnisse und bat um Entschuldigung: "Viel zu lange blieben seine Schandtaten im Dunkeln, erst die Meldungen von Betroffenen haben eine Aufarbeitung möglich gemacht", so der Jesuit. Die Kirche müsse sich solchen Taten weltweit stellen.

Für die Generalsekretärin der Bischofskonferenz, Beate Gilles, steht fest: "Der Untersuchungsbericht ist kein Schlusspunkt, sondern wird noch zu klärende Konsequenzen nach sich ziehen." Die Erkenntnisse würden nun an die zuständigen Diözesen weitergeleitet, in denen konkrete Missbrauchsvorwürfe gegen Diözesanpriester aufgearbeitet würden. Die Entsendung von Priestern und anderen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern müsse kritisch überdacht werden. Es müsse nachgewiesen werden, dass sie im Bereich sexueller Übergriffigkeit nicht vorbelastet seien; auch müssten sie Präventionsschulungen nachweisen. (Christoph Arens/kna)