Missbrauch in der Kirche

Stadt München bezweifelt Aufarbeitungswillen der Niederbronner Schwestern

Missbrauchs-Vorwürfe eines früheren Heimkindes gegen Ordensfrauen in Speyer haben für Schlagzeilen gesorgt.

Das Sozialreferat der Stadt München bezweifelt den Aufarbeitungswillen des Ordens. © imago images / Ralph Peters

München/Speyer – Angesichts schwerer Missbrauchsvorwürfe ehemaliger Heimkinder in der Obhut der Niederbronner Schwestern steigt der Druck auf den Orden. Gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert das Sozialreferat der Stadt München Zweifel am Aufarbeitungswillen der Schwestern. Die neue Provinzoberin Barbara Geißinger benennt unterdessen eine weitere Missbrauchsbeauftragte.

Niederbronner Schwestern waren in den 1960er und 1970er Jahren nicht nur in Speyer, sondern auch in einem von der Stadt München getragenen Kinderheim in Oberammergau tätig. Seit 2009 trieb die Stadt die Aufklärung in ihren Einrichtungen voran, versuchte alle ehemaligen Zöglinge zu erreichen und schuf für sie eine mit einer Psychologin besetzte Anlaufstelle. Eine Historikerin veröffentlichte 2014 im Auftrag der Stadt ein Buch, für das sie die Berichte der Heimkinder sowie Akten auswertete, unter dem Titel "Weihnachten war immer sehr schön".

Orden verspricht Aufklärung

Die Heimkinder-Berichte wurden auch an die Schwestern geschickt. "Der Orden beziehungsweise die angesprochenen Schwestern reagierten abweisend beziehungsweise gar nicht", erklärte Hedwig Thomalla vom Kommunikationsteam des Sozialreferats der KNA. Auch die Rechtsstelle des Jugendamts habe versucht, über schriftliche Nachfragen im Auftrag einzelner Heimkinder hinaus Kontakt zu den Schwestern herzustellen, wenn diese etwa nach einer Chronik suchten. Ohne Erfolg. Von einer aktiven Mitwirkung an der Aufarbeitung kann in der Vergangenheit aus Sicht der Stadt beim Orden "leider nicht" die Rede sein.

Unterdessen scheint ein Kurswechsel bei den Schwestern möglich. Provinzoberin Geißinger reagierte am Donnerstagabend auf die seit einer Woche intensive Berichterstattung mit einer sechsseitigen Presseerklärung. In ihr sicherte sie "unbedingten Aufklärungswillen" auch hinsichtlich möglicher bisheriger Versäumnisse zu. Sie bat alle Betroffenen, die sich noch nicht gemeldet hätten, bei den Missbrauchsbeauftragten der deutschen Provinz der Gemeinschaft vorstellig zu werden.

Neben dem früheren Nürnberger Staatsanwalt Reinhard Lubitz ernannte Geißinger zum Jahresbeginn 2021 die Münchner Rechtsanwältin Monika Endraß als weitere Ansprechpartnerin. Endraß nimmt diese Funktion bereits für die bayerischen Benediktinerklöster Ettal, Metten und Ottobeuren wahr. Sie ist auf Familienrecht spezialisiert.

Vorwurf der Zwangsprostitution

Ausführlich geht die Provinzoberin in ihrer Erklärung auf die schwerwiegenden Vorwürfe ein, die sich auf ein Kinderheim in Speyer beziehen, das seit 1961 von der dortigen Dompfarreikirchenstiftung getragen wurde. Der Hauptvorwurf gegen den Orden lautet, dass die Schwestern dort ihnen anvertraute Kinder gegen Geld hochrangigen Priestern und Honoratioren zuführten, also Zwangsprostitution Minderjähriger organisierten.

Geißinger schreibt, der Bericht eines Betroffenen sei ihnen vom Missbrauchsbeauftragten des Bistums Speyer 2011 mitgeteilt worden. Seither "haben wir uns bemüht, nach Hinweisen zu suchen, die auf eine - wie auch immer geartete - Beteiligung von Schwestern in der Engelsgasse hätte hindeuten können. Es gibt dafür jenseits der Berichte des Betroffenen bis heute keine Anhaltspunkte." Weiter weist sie darauf hin, dass die Archive über die betroffenen Einrichtungen sich nicht beim Orden befänden, da die Schwestern nicht der rechtliche Träger der Einrichtungen gewesen seien.

Der Orden gehe jedoch fest davon aus, dass der Mann, der von 1963 bis 1972 in dem Speyerer Kinderheim lebte und im Mai vor dem Sozialgericht Darmstadt staatliche Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erstritt, "schwerwiegende Missbrauchserfahrungen" gemacht habe.

Persönliches Gespräch mit Missbrauchsopfer geplant

Die Provinzoberin teilte ferner mit, sie wolle dem Wunsch des Mannes nach einem persönlichen Gespräch nachkommen, sobald dies nach Aufhebung der coronabedingten Kontaktbeschränkungen möglich sei. In ihrer Presseerklärung machte sie ferner Details aus dem bisherigen E-Mail-Verkehr mit dem mutmaßlichen Opfer publik, darunter dessen Geldforderung im Umfang von mehr als drei Millionen Euro.

Sie betonte, der Orden müsse sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. "Es gibt nichts zu beschönigen. Die vorgetragenen Ereignisse stellen ein dunkles Kapitel der betroffenen Häuser dar." Da die Verantwortlichen bereits verstorben seien, könnten sie nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden.

Prostitutionsvorwürfe ehemaliger Heimkinder hat es nach Auskunft des Münchner Sozialpsychologen Heiner Keupp vereinzelt auch schon in anderen Einrichtungen gegeben, etwa im Piusheim in Glonn. Allerdings sei ihnen bisher nicht nachgegangen worden. (kna)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Kirche und Missbrauch