Braucht es Kunst?

"Sonst ist es keine Kirche."

Kirchen sind viel mehr als nur Räume, in denen man betet und Gottesdienste feiert. Sie sind auch immer die Orte, an denen sich Kunst und Kultur sammeln. Aber wie viel Kunst braucht es eigentlich in einer Kirche und wann ist es zu viel?

Schlicht und einfach - und voller Kunst - ist die Hauskapelle des Erzbischöflichen Ordinariats in München. © SMB

Weißes indirektes Licht taucht alles in einen diffusen Schimmer. Schatten verschwimmen auf den weißen Wänden. Das langgezogene milchige Oval an der Decke, durch das das Licht fällt, wirkt seltsam weit entfernt. Es gibt keine Ecken. Die Wände bilden einen Bogen, werden zu einem Dach und treffen sich über dem Betrachter in der seltsamen Lichtquelle.

Die Hauskapelle des Erzbischöflichen Ordinariats in München wirkt wie ein futuristischer Pavillon. Fünf schlichte weiße Holzbänke stehen vor einem weißen Altar. Die Architektur erweckt den Eindruck, man wäre im Inneren eines strahlend weißen Ei’s. Schlicht, glatt, aufgeräumt. Aber trotzdem sind darin all die Dinge enthalten, die eine Kirche ausmachen, sagt Norbert Jocher: „Wir brauchen einen Altar, einen Tabernakel, wir brauchen einen Sitz. Sonst ist es keine Kirche.“ Er leitet die Hauptabteilung Kunst im Baureferat des Erzbischöflichen Ordinariats in München, die für rund 700.000 Kunstobjekte im Erzbistum verantwortlich ist.

Das Geheimnis des Glaubens erlebbar machen

So einheitlich und konzipiert wie die Hauskapelle des Ordinariats sind dabei die wenigsten Kirchen und ihre Kunstwerke. Die Gegenstände und Geräte, aus Jochers Aufzählung finden sich aber in jeder Kirche, auch wenn sie fast nie gleich aussehen. Aber einfach einen in Serie produzierten Tisch als Altar zu verwenden, würde nicht funktionieren. Das liturgisch Notwendige wird gestaltet - und zwar künstlerisch. So war das schon immer, sagt Norbert Jocher: „Seit den Anfängen des Christentums gibt es wie in allen anderen Religionen die Sehnsucht, bildlich darzustellen, was der Glaubensinhalt ist.“ Diese Sehnsucht, sehen zu wollen, was man nicht sieht, ist ein wesentliches Element des Glaubens – Kunst die Konsequenz daraus, mit der man versucht die Sehnsucht zu stillen und Glaubensinhalte erlebbar zu machen.

Glaube und Kunst kann man nicht trennen. Versuche das zu tun, sind immer wieder gescheitert. Umso strenger Bilderverbote in einer Zeit waren, desto reicher an Kunst war die nächste Epoche, sagt Jocher. Kirchen sind Zeitzeugen dieser Geschichte. Selbst als Kunstwerke erbaut, sammeln sich in ihnen die Werke unterschiedlicher Epochen. Doch was ist noch Kunst und was kann eigentlich weg? Gerade in alten Kirchen wird das immer wieder zur Herausforderung. Hier treffen viele unterschiedliche Kunstphasen aufeinander, die manchmal nicht besonders gut zueinander passen.

Eine Frage der Inszenierung

In manchen Kirchen sammeln sich darüber hinaus so viele Arbeiten, dass nicht jedes Kunstwerk den Platz bekommt, den es eigentlich bräuchte. Die Mariahimmelfahrts-Darstellung von Candid im Münchner Dom ist ein solches Beispiel. „Das ist möglicherweise die großartigste Malerei des 17. Jahrhunderts nördlich der Alpen“, sagt Jocher, „und im Dom hängt sie irgendwo seitlich über dem Eingang der Sakristei.“ In jeder anderen Kirche wäre das Werk wahrscheinlich das Hochaltarbild, als das es ursprünglich auch gedacht war. Auch wenn es zahlreiche gute Gründe gibt, warum Candids Meisterwerk da hängt, wo es hängt, ist es ein Beispiel dafür, wie der spirituelle Wert eines Kunstwerks geschmälert werden kann, wenn es nicht optimal inszeniert wird. Ein Problem, dass noch verstärkt wird, wenn man das Zusammenspiel von Kunst und Glauben vergisst und sich nur noch auf den kulturellen Aspekt konzentriert.

„Unsere Kirchen dürfen nie zu historischen Museen verkommen, wo man dann noch das alte Messgewand anzieht“, sagt Jocher. „Manche Gottesdienste sind da nicht mehr weit entfernt von einem Ritterturnier in Kaltenberg.“ Keine Museen, aber Bühnen, auf denen das Geheimnis des Glaubens immer neu erfahrbar wird, müssen Kirchen sein, sagt Jocher. Bühnen, auf denen dann aber auch zeitgenössische Kunst ihren Platz hat. Wie gut das funktionieren kann, sieht man laut Jocher in St. Benno in München. In einem Wandbogen an der Westwand der Kirche ist dort seit 2015 ein modernes Kunstwerk installiert.

Kunst zum Meditieren

Eine große schwarz-glänzende Glaswand mit einem Meer aus silbernen unterschiedlich großen Kreisen füllt dort den romanischen Rundbogen. Wer davor steht, hat je nach Licht das Gefühl, durch ein schwarzes Netz in einen anderen Teil der Kirche zu schauen, der hinter dem Bogen liegt. Dabei ist das natürlich nur die diffuse Spiegelung der Kirche. Ein Tor in eine andere Welt, in das Jenseits, soll das Kunstwerk sein. „Der Betrachter sieht sich selbst immer besser, während er auf dieses Kunstwerk zugeht und sieht sich damit selbst immer mehr auf diesem Weg des Lebens, auf dem auch er geht“, sagt Jocher. Die silbernen Platinkreise, sind deshalb aus einer Darstellung des menschlichen Genoms entnommen.

Der Tod gehört zum Leben und zum Menschsein. „Aber durch die Spiegelung des Dreifaltigkeitsaltars, der sich gegenüber befindet, ist auch immer eine Ahnung von Erlösung dabei.“ Ein Kunstwerk das zur Meditation und zur Betrachtung der eigentlichen Sterblichkeit einlädt und damit eine Möglichkeit bietet, durch die Kunst einen Einblick in das Geheimnis des Glaubens zu erhaschen. Denn genau das kann Kunst: Erfahrbar machen, was der Verstand sonst nicht begreift. Ohne Kunst würde deshalb wahrscheinlich auch keine Kirche, ob moderne Ordinariats-Kapelle, 500 Jahre alter Dom oder neoromanische Pfarrkirche funktionieren.


Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
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