Gesetzesentwurf zu Zwangsprostituion

Solwodi: "Deutschland ist zum Bordell Europas geworden"

Freier von Zwangsprostituierten müssen künftig mit Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren rechnen. Das sieht ein in der vergangenen Woche beschlossener Gesetzesentwurf vor. "Das Gesetz ist ein 'zahnloser Tiger'", sagt Solwodi Gründerin Schwester Lea Ackermann.

Schwester Lea Ackermann, Gründerin von Solwodi, zum neuen Gesetz, das Freier die Zwangsprostituierte ausnutzen, bestraft. (Bild: kna) © kna

München – Die Bundesregierung will Kinder und Frauen besser vor Menschenhandel und Zwangsprostitution schützen. Dazu beschloss das Kabinett vergangene Woche eine strafrechtliche Ergänzung zu einem Gesetzesentwurf, der die EU-Richtlinie gegen Menschenhandel umsetzen soll. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte: "Wer die Lage von Zwangsprostituierten ausnutzt, indem er sexuelle Handlungen an ihnen vornimmt, muss mit empfindlichen Strafen rechnen."

Der Entwurf erweitert die Straftatbestände der Zwangsprostitution und Zwangsarbeit und sieht nach Angaben des Ministeriums neue Straftatbestände der Ausbeutung der Arbeitskraft und Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung vor.

Wir sprachen darüber mit Schwester Lea Ackermann. Sie ist Gründerin von SOLWODI ("SOLidarity with WOmen in DIstress").

MKN: Schwester Lea Ackermann. Ich war wirklich etwas schockiert zu lesen, dass dies bislang gar nicht gesetzlich geregelt war. Sie engagieren sich seit über 30 Jahren für Frauenrechte – was denken Sie über die Änderung?

Schwester Lea Ackermann: Es stimmt, das war bislang strafrechtlich nicht verfolgt. Was mir daran gut gefällt, ist der Perspektivenwechsel. Man guckt mal nicht auf die Frauen, man guckt auf die Käufer. Aber es ist zu kurz gegriffen, denn es geht ja nur um Käufer, die zu Frauen gehen, die das unfreiwillig machen. Wie will man das wissen? Und wer soll das anzeigen? Wenn eine Frau, die in einem Bordell arbeitet, ihrem Kunden sagt: „Ich bin hier nicht freiwillig“, und er trotzdem ihre Gefälligkeiten einfordert, dann macht er sich jetzt strafbar. Aber wer soll das anzeigen? Die Frau, die möglicherweise nicht mal aus dem Bordell rauskommt? Er selbst wird das nicht anzeigen. Und die Frau wird es nicht anzeigen, denn wenn der Bordellbetreiber, der durch sie Geld verdient, davon erfährt, kann das für sie lebensgefährlich sein. Es ist ein Gesetz, das was richtiges sieht. Es kann nicht erlaubt sein, dass ein Mann zu einer Frau geht, die das nicht will, das ist genau genommen eine Vergewaltigung.

MKN: Das heißt, es ist für Sie, es ist für Solwodi, ein Schritt in die richtige Richtung, der aber nicht weit genug geht?

Schwester Lea Ackermann: Ja, aber ein Schritt der ineffektiv sein wird, der nichts bringt. Die Franzosen haben es vor kurzem richtig gemacht. Sie haben das nordische Modell, das in Schweden, Norwegen und Kanada gilt, eingeführt. Das stellt generell den Kauf von Sex unter Strafe – und genau das ist das Richtige. Prostitution ist unerträglich. Warum? Es ist eine Entwürdigung der Frau. Das Grundgesetz hat sich auf die Fahne geschrieben, dass sie die Würde des Menschen achten möchte. Prostitution ist grundsätzlich eine Verletzung der Menschenwürde. Es ist Gewalt an Frauen, es ist gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Denn dass die eine Hälfte in einem gleichberechtigten Staat die andere Hälfte kaufen kann, ist gegenüber dem Gleichberechtigunsparagraphen zuwider laufend. Und deshalb ist die einzige richtige und klare Entscheidung, die, dass vom Gesetzgeber gesagt wird, der Kauf von Sex ist verboten.

MKN: Sie haben es gerade gesagt, Frankreich hat sich kürzlich genau dafür entscheiden, in Schweden beispielsweise gibt es diese gesetzliche Regelung schon seit 1999. Wie sieht die Situation von Prostituierten direkt nach so einer Gesetzesänderung aus? Welche Hilfen braucht es da?

Schwester Lea Ackermann: Die Frauen, die in der Prostitution tätig sind/waren, werden nicht bestraft, das wäre auch nicht richtig, sondern ihnen werden Hilfen angeboten und das ist der richtige Weg. Sie müssen sich ja von irgendwas ernähren. Es wird mit ihnen überlegt, was können sie tun. Es gibt immer noch Leute, die behaupten, naja, aber das Geschäft mit den Frauen geht ja weiter. Wir haben ein Gesetz, das verbietet Diebstahl. Und wir wissen, dass trotzdem noch weiter geklaut wird. Aber niemand käme auf die Idee zu sagen, das Gesetz ist abzuschaffen. Bei der Prostitution argumentiert man ganz anders. Das ist das Falsche. Wenn sie überlegen, wer wäre denn davon betroffen, wenn man den Sexkauf verbieten würde – das wären die Bordellbetreiber, die die das große Geld mit den Frauen machen. Man könnte dann keine Bordelle bauen, die riesige Gewinne machen.

Bei uns ist es aktuell so, dass nicht einmal die Städte ein Bordell verhindern können. In Augsburg hat sich der Stadtrat und die Bürger dagegen entschieden, sie wollten kein Großbordell. Der Betreiber des Bordells ist vor Gericht gezogen und er hat Recht bekommen: er darf sein Bordell bauen. In Saarbrücken war es dasselbe. Mit dem Gesetz, das wir haben ist Deutschland zum Bordell Europas geworden. Und was jetzt mit diesem neuen Gesetz geschehen ist, das ist zumindest mal ein Blick in die richtige Richtung, aber es wird wie ein zahnloser Tiger sein.

MKN: Sprich, für Sie ist es das wichtigste, dass das Thema wieder in die Diskussion kommt. Sie werden natürlich ihr Anliegen weiter verfolgen.

Schwester Lea Ackermann: Das ist klar, wir haben ja eine Kampagne gemacht und haben Unterschriften gesammelt für ein Gesetz, das den Kauf von Sex verbietet: „Macht den Schlussstrich“, Das steht immer noch auf unserer Homepage. Als wir 15.000 Unterschriften hatten, wollten wir das abgeben bei der Bundesfrauenministerin Schwesig. Frau Schwesig hat sich etwa zur selben Zeit bei den Bordellbetreibern erkundigt, wie es denn so im Bordell zugeht. Als wir ihr schrieben, dass wir ihr die Unterschriften übergeben wollen, hat sie geantwortet, dass der Herr Staatssekretär bereit ist, die Unterschriften entgegenzunehmen, aber dass Ministerin Schwesig leider keine Zeit hat. Wir sind drangeblieben, aber wir haben dreimal den gleichen Brief bekommen. Daraufhin haben wir gesagt, wir sammeln weiter Unterschriften. Wir haben mittlerweile fast 20 000.

Und wir sind immer wieder erschreckt, wie wenig die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger wissen, was da wirklich passiert in der Prostitution, was diesen Frauen angetan wird. Wenn Sie überlegen, dass die Frauen die der Prostitution nachgehen mit der Zeit alle traumatisiert sind...Wir behaupten, sie sind alle in der Zwangslage. Ich kümmere mich nun seit 30 Jahren um Frauen, die in der Prostitution waren und die ausgestiegen sind. Ich habe bis heute keine Frau angetroffen, die sagt, sie macht das freiwillig. Natürlich im ersten Moment sagen viele, dass sie das ja freiwillig gemacht haben, aber wenn sie Vertrauen in uns gefasst haben, wenn wir sie zwei oder drei Jahre begleitet haben und sie gemerkt haben, wir stehen wirklich hinter ihnen, dann erzählen sie alles und es ist keine mehr dabei, die sagt. „Ich habe das freiwillig gemacht.“

Und ich finde das unglaublich, dass wir etwas zulassen, wo Frauen wirklich körperlich oder seelisch geschädigt werden. Neulich sprachen wir mit einer Psychotherapeutin, die Jahre lang ehemalige Prostituierte behandelt hat. Sie sagte, seit zwei Jahren betreut sie nun auch die Gegenseite, also die Freier, die zu diesen Frauen gehen. Sie sagte, der große Teil dieser Männer sei krank, sexsüchtig und was das für Elend und Not in die Familien bringt...Wenn man sich überlegt, dass Frauen in der Prostitution massenhaft krank gemacht werden und die Freier ebenfalls krank werden und ihre Familien schädigen, dann frage ich mich: Was erlauben wir eigentlich in unserem Land? Wie leichtsinnig gehen wir eigentlich mit diesen „Verbrechen“ um? Wir müssen Perspektiven für die Frauen entwickeln. (sts)