Sie ist eine der wenigen Kirchenlehrerinnen der katholischen Kirche: Hildegard von Bingen (1098-1179). 2023 wird gefeiert, dass sie vor 925 Jahren geboren wurde - wobei ihr genaues Geburtsdatum bis heute unbekannt ist. Was würde Hildegard zum Reformdialog Synodaler Weg sagen, was zu Klimaschutzaktivisten? Darüber sprach die Theologin und Ordensschwester Maura Zatonyi (48), Vorsitzende der Sankt-Hildegard-Akademie in Rüdesheim-Eibingen, im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Benediktinerin hatte maßgeblich an den theologischen Gutachten mitgeschrieben, die 2012 zur Heiligsprechung Hildegards und zur Erhebung zur Kirchenlehrerin durch Papst Benedikt XVI. führten.
Schwester Maura, unter den 37 Kirchenlehrern und Kirchenlehrerinnen sind nur wenige Frauen. Nach Teresa von Avila, Katharina von Siena und Therese von Lisieux ist Hildegard von Bingen erst die vierte Frau - oder schon die vierte?
Maura Zatonyi: Ich würde das "schon" betonen. Dass wir vier Kirchenlehrerinnen haben, ist großartig! Man muss bedenken: Erst ab dem 18. Jahrhundert, seit Benedikt XIV., wurde - teilweise rückwirkend - Theologen und Theologinnen dieser Titel verliehen. Ich finde es beachtenswert, dass Frauen in einer Zeit, in der sie sonst in der Gesellschaft keinen Zugang zur Bildung hatten, im Rahmen der Kirche, in den Klöstern, theologische Arbeit mit hoher Qualität betrieben haben.
Heute wird die Lehre überwiegend von Männern vermittelt, Kirchenlehrerinnen im Wortsinne gibt es kaum.
Zatonyi: Aber wir haben doch viele Theologieprofessorinnen und Religionslehrerinnen! Ich sehe das nicht so, dass heute die weibliche Stimme nicht gehört werden würde.
Aber als Lehramt der katholischen Kirche wird in der Öffentlichkeit der Vatikan wahrgenommen - und dort sind vornehmlich Männer am Werk...
Zatonyi: Der Papst ist nun mal die höchste Instanz der Lehre. Bei wichtigen Entscheidungen werden Kommissionen gebildet, wie ich etwa aus eigener Erfahrung bei der Heiligsprechung und Erhebung Hildegards zur Kirchenlehrerin erlebt habe, und in den Kommissionen sind auch Frauen. Darüber hinaus hat Papst Franziskus eine ganze Reihe von Frauen in höchste Ämter gerufen. Wir Frauen können heute unsere Stimme sehr gut zur Geltung bringen - wie damals Hildegard.
Hildegard hat sich nicht gescheut, den Mächtigen Briefe zu schreiben, sie hat offen ihre Meinung gesagt. Was heißt das für die heutige Zeit?
Zatonyi: Hildegard war mit Bischöfen und Erzbischöfen im Briefkontakt. Sie wusste, dass die Theologen die Verantwortung haben, den Menschen den Glauben nahezubringen. Sie hat den Bischöfen ins Gewissen geredet, damit sie diese Pflicht nicht vernachlässigen.
Würde Hildegard heute Reformen in der Kirche fordern, etwa das Diakonat oder das Priestertum für Frauen?
Zatonyi: Das wären aus Hildegards Sicht nicht die richtigen Reformen. Die richtige Reform wäre die Umkehr zu Gott und zur Glaubenslehre - das ist bei Hildegard das A und O.
Wäre Hildegard heute beim Synodalen Weg dabei?
Zatonyi: Was da als vermeintliche Reform verkauft wird - nein! Hildegard würde diesen Synodalen Weg nicht mitgehen. Ich lese seit 20 Jahren täglich ihre Briefe und Originalhandschriften aus dem zwölften Jahrhundert und kann wirklich sagen: Hildegard würde bei der Versammlung des Synodalen Weges höchstens eine feurige Rede halten, dass die Menschen wieder zum Glauben zurückkehren sollen. Sie würde ihnen ins Gewissen reden, die Schönheit der Glaubenslehre wiederzuentdecken.
Aber auch heute erheben Frauen ihre Stimme in der Kirche.
Zatonyi: Ja, und es geht darum, wofür man die Stimme erhebt. Hildegard hat immer für die Sache des Glaubens gefochten, aber sie hätte nie für das Frauenpriestertum gekämpft. Das war kein Thema für sie. Sie hat die Hierarchien letztlich akzeptiert.
Sehen Sie das ähnlich?
Zatonyi: Ich verweise diesbezüglich auf die Lehre der Päpste. Wir können nicht die Ideale der Kirche zerschlagen, weil wir sie vermeintlich nicht leben können. Wir müssten eher fragen, wie wir die in der Bergpredigt enthaltenen Seligpreisungen heute leben können. Denn die Menschen haben eine Sehnsucht - wie sollte man denn diese Sehnsucht mit den Diskussionen um das Frauenpriestertum stillen können?