Gespräche zwischen Kasse und Kaffee

Seelsorge im Supermarkt

Auf "an Ratsch mit dem Pfarrer“ lädt Michael Seifert ein. Die Idee scheint gewöhnlich - hätte sich der Kraiburger Seelsorger für seine Sprechstunden nicht den Lebensmittelladen ausgesucht.

Rosa Käsmaier (rechts) freut sich mit ihren Enkelinnen, Pfarrer Seifert (links) beim Einkaufen anzutreffen. © Huckemeyer

Kraiburg – Nudeln, Obst und Zucker gibt es in jedem Supermarkt. Das ist nichts Außergewöhnliches. Bei Edeka Rinner in Kraiburg gehen die Uhren diesbezüglich natürlich auch nicht anders. Dennoch wartet das Geschäft jeden Donnerstag mit einem Angebot auf, das weder in den Regalen noch in der Kühlabteilung zu finden ist. Es geht um etwas völlig anderes, nämlich um eine lockere Sprechstunde, die Pfarrer Michael Seifert im Café des Supermarktes ausrichtet. Jeden Donnerstag zwischen 16.15 und 17.15 Uhr können sich Kunden des Marktes ohne Wenn und Aber an den Tisch des Seelsorgers setzen. „Auf an Ratsch mit dem Pfarrer“ heißt es auf einem Plakat an der Eingangstür des Geschäftes.

Erst Eisdiele, jetzt Supermarkt

Eine Fahne vor dem Markt macht ebenfalls auf die Aktion aufmerksam. Im kleinen Café des Ladens nimmt Pfarrer Michael Seifert Platz. Er hat dabei den Kassenbereich im Blick. Und hier bahnt sich ab und zu schon die erste Unterhaltung per Augenkontakt an. Ein Lächeln auf beiden Seiten und dann ist der Weg zum Geistlichen nicht mehr weit. „Es kommt zu Gesprächen, die sonst nie stattgefunden hätten“, weiß der Seelsorger aus Erfahrung. Immerhin kann er schon auf mehrere Monate Sprechstunde außerhalb des Pfarrhauses zurückschauen.

Während der Sommermonate stellte Seifert Tisch und Stuhl am Marktplatz ab, und zwar ganz geschickt in der Nähe einer beliebten Eisdiele. Da ergriffen nicht wenige Passanten das geistliche Angebot. Bei Schoko- und Vanilleeis wurden neben leichter Konversation durchaus auch tiefgründige Gespräche geführt, wie Pfarrer Seifert erzählt: „Einmal kam eine Hinterbliebene eines Corona-Toten aus dem Pfarrverband auf mich zu, weil sie schwer an ihrem Schicksal trägt.“ Corona sei jetzt in der Winterzeit selbstverständlich weiterhin präsent, jedoch eher als unverfängliches Einstiegs-Thema, stellt der Seelsorger fest.

Unerwartete Themenvielfalt

Die Zufallsbegegnungen enden auch manchmal damit, dass ein Folgetermin vereinbart wird, weil sich nicht alles in einem Supermarkt besprechen lässt. Der Seelsorger nennt die Themenvielfalt, auf die er im Lebensmittelladen trifft, einen „bunten Gemüsegarten“. Von Nachbarschaftsstreitigkeiten bis hin zu Fragen rund um die Organspende sei schon alles dabei gewesen. Kirchliche Reizthemen oder ganz konkrete Fragen zum Pfarreileben kämen ebenfalls aufs Tablett. Beim Supermarkt-Format gehe es nach Darstellung Seiferts nicht in erster Linie um den Glauben.

"Kirche interessiert sich für dich"

Ziel sei es vielmehr zu zeigen, Kirche verstecke sich nicht hinter verschlossenen Mauern. „‚Auf an Ratsch‘ ist der Versuch, auf Menschen zuzugehen, um deutlich zu machen, die Kirche interessiert sich für dich“, erklärt der Pfarrer, der während der Sprechstunde seinen Kaffee noch nie alleine trinken musste. Überwiegend sind es Frauen, die sich an den Tisch des Seelsorgers setzen und ihre Anliegen vortragen. Bei einer längeren Pause zwischen den Gesprächen weiß sich Pfarrer Seifert schnell zu helfen: „Dann unterhalte ich mich halt ein bisschen mit der Bäckerei-Verkäuferin, die ja gleich neben mir ihren Job ausübt.“

An diesem Nachmittag schiebt Rosa Käsmaier ihren Einkaufswagen in den Markt und strahlt über ihren Mund-Nasen-Schutz hinaus, als sie plötzlich Pfarrer Seifert entdeckt. „Aufgrund der Corona-Situation bleibe ich momentan den Gottesdiensten fern. Daher ist es schön, auf diesem Wege den Pfarrer zu treffen“, freut sich die 75-Jährige, die mit ihren drei Enkeltöchtern unterwegs war. Zum Ende der Sprechstunde betritt noch ein Herr mittleren Alters den Bereich des Seelsorgers. Der Mann verspeist seinen Kuchen allerdings an einem anderen Tisch.

Auf die Frage, ob er eventuell Interesse hätte, mit dem Pfarrer ungezwungen zu plaudern, meint der Gast: „Wie Sie sehen, trage ich schmutzige Arbeitskleidung, das passt mir jetzt nicht.“ Doch Pfarrer Seifert stören derlei Äußerlichkeiten bestimmt nicht. (Ursula Huckemeyer)