Biologische Schädlingsbekämpfung

Schlupfwespen schützen Marienfigur

In der Pfarrkirche von Neumarkt-Sankt Veit kommen besondere Kammerjäger zum Einsatz. Zur Bekämpfung des Holzwurmbefalls in der historischen Kircheneinrichtung wurden Schlupfwespen ausgesetzt.

Vorsichtig werden die Schlupfwespen an ihrem neuen Arbeitsplatz ausgesetzt. © SMB

Etwas müde und fast regungslos hängen die beiden winzigen Nagekäfer noch aneinander. Sie haben sich gerade in der Pfarrkirche von Neumarkt-Sankt Veit am Fuß einer monumentalen Marienfigur gepaart, die mit schmerzhaftem Blick unter einem Kreuz steht. Regina Bauer-Empl, stößt die beiden vorsichtig mit dem Zeigefinger an: „Das ist sehr selten, dass die sich so offen blicken lassen.“ In der linken Hand hält die Restauratorin ein durchsichtiges Röhrchen, das aussieht wie ein Reagenzglas. Es enthält etwa einhundert Schlupfwespen, die gar nicht wie Wespen aussehen, sondern wie Ameisen mit Miniflügeln. Diese kleinen Kammerjäger sollen helfen, die Madonnenfigur vor großem Schaden zu bewahren.

Schlupfwespe gegen Holzwürmer

Denn die Nachkommen der verliebten Nagekäfer, die berüchtigten Holzwürmer, könnten bald unter der farbigen Fassung der Skulptur ein Zerstörungswerk anrichten, wenn sie sich von dem Holz ernähren, aus dem die Madonna geschnitzt ist. Kleine Holzmehlhäufchen an ihrem linken Fuß weisen darauf hin, dass der Befall bereits fortgeschritten ist. Regina Bauer-Empl schüttelt nun vorsichtig den Inhalt des Glasröhrchens am Sockel der Figur aus: „Die Schlupfwespen bohren jetzt gleich winzige Gänge in die Skulptur, um ihrerseits Eier abzulegen“. Die setzen sie dank ihrer phänomenalen Witterungsfähigkeit zielsicher auf der Nagekäferbrut ab.

Der Nachwuchs der Spathius exarator, so der lateinische Name der Schlupfwespe, stillt also seinen Appetit nicht mit Holz, sondern an den Käferlarven, die dann kein Unheil mehr anrichten können. Ohne Gegenmaßnahmen fressen sich die Kunstkiller oft jahrelang durch Altäre, Chorgestühle oder Heiligenfiguren. In ihrer Restauratorenwerkstatt zeigt Regina Bauer-Empl später eine Madonna in jämmerlichen Zustand: von den einst kunstvollen Gewandfalten ist nur noch ein Gewirr dicht nebeneinander liegender Löcher und Gänge übrig geblieben, Teile des Gesichts sind ebenfalls weggefressen. Da haben die Nagekäferlarven ganze und lange Zeit unbemerkte Arbeit geleistet.

Ungiftige Alternative

Bei der Madonna mit dem schmerzhaften Blick und anderen Ausstattungsstücken in der Pfarrkirche von Neumarkt-Sankt Veit soll es dank der Schlupfwespen nicht soweit nicht kommen. An die 30 000 Stück finden in den nächsten vier Jahren in dem barock ausgestatteten Gotteshaus ihren Fressplatz. Spezialfirmen züchten diese Nützlinge eigens für solche Einsätze. Pfarrer Franz Eisenmann sind sie willkommen. In den Kommunionkelch ist ihm noch keines der Insekten gefallen „und sie schwirren den Gläubigen auch nicht um den Kopf herum, wie wir das anfangs befürchtet hatten“.

Die Schlupfwespen sind unauffällige Gäste, „die merken wir gar nicht“. Die Alternative, um den schon fortgeschrittenen Holzwurmbefall zu stoppen, wäre der Einsatz von giftigen Gasen gewesen. Verbunden mit einer tage- bis wochenlangen Sperrung der Kirche, die Experten vollkommen hätten abdichten müssen. Aber selbst das hätte in Neumarkt-Sankt Veit nicht richtig geklappt. Pfarrer Eisenmann deutet auf das gleich neben der Kirche gelegene Altenheim. „Beim Einsatz der Giftstoffe gilt ein Mindestabstand zur Wohnbebauung und den hätten wir gar nicht einhalten können.“ Die Senioren hätten also das Haus räumen müssen, „was kaum machbar wäre“. Da sind die Schlupfwespen unkomplizierter, auch wenn sie länger brauchen.

Kontrolle für Kunst- und Holzschützer

Wie effektiv sie genau sind, überprüft Gerd Wapler. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Holzschutz klebt gerade eine durchsichtige DIN A 4-Folie auf eine historische Sitzbank. Unter der Plastikfolie sind viele Löcher zu sehen, aus denen die Holzwürmer als gestandene Nagekäfer wieder herausgekrochen sind. Wo sich eine solche Öffnung zeigt, malt Gerd Wapler einen schwarzen Punkt auf die Folie und nimmt sie wieder ab. „Wenn ich in ein paar Wochen die Folie wieder über dieselbe Stelle lege, kann ich sehen, ob neue Löcher hinzugekommen sind, sich der Befall verlangsamt hat oder gar gestoppt ist.“ Mit diesem Monitoring erhebt er in 20 Kirchen im Erzbistum München und Freising die Wirksamkeit biologischer Schädlingsbekämpfung.

Denn nicht nur in Neumarkt-Sankt Veit sind die geflügelten Kunst- und Holzschützer im Einsatz. Im Erzbischöflichen Ordinariat München ist Hans Rohrmann für sie zuständig. Er arbeitet in der Hauptabteilung Kirchliche Kunstpflege, die das Monitoring in Auftrag gegeben hat. „Denn es gibt durchaus auch skeptische Stimmen, ob Schlupfwespen immer die beste Lösung sind.“ Wenn etwa ein Kirchengestühl in den 1970er und 1980er Jahren mit den damals üblichen Holzschutzmitteln behandelt worden ist, vergeht den Nützlingen der Hunger. Zudem sind sie wegen der langen Einsatzzeit nicht deutlich billiger als die konventionelle Schädlingsbekämpfung etwa mit dem klimaschädlichen Gas Sulfurylfluorid, die je nach Kirchengröße und den Umfang des Befalls schon einmal zwischen 25.000 und 50.000 Euro kosten kann.

Ökologischer Gewinn

Der promovierte Kunsthistoriker Hans Rohrmann und die Kirchenbehörden denken bei der biologischen Maßnahme aber sowieso viel stärker an den ökologischen als an den ökonomischen Gewinn: „Unser Ziel ist, dass wir möglichst von Giftgasen weg- und zu einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Schädlingsbekämpfung hinkommen.“ Dabei will er aber auch wissen, „wie wirkungsvoll das ist“. 

In Neumarkt-Sankt Veit ist er aber zuversichtlich, dass im nächsten Jahr der Schädlingsbefall zurückgeht und die Holzmehlhäufchen vor der Madonna mit dem schmerzhaften Gesicht verschwunden sind. Haben die Schlupfwespen übrigens alle Holzwürmer in der Kirche aufgefressen, müssen sie neue Futterplätze in anderen Gebäuden finden oder sie sterben ab. Als Opfer des eigenen Erfolgs.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de

Audio

Beitrag im Münchner Kirchenradio: Schlupfwespen gegen Holzwürmer