20 Jahre queerGottesdienst München

Regenbogen über der Kirche

Kardinal Reinhard Marx feiert den zwanzigjährigen Jubiläumsgottesdienst mit der Queer-Gemeinde in der Münchner Kirche St. Paul. Für das Paar Sven und David Langenbuch ist das ein wichtiges Zeichen und ein Aufbruch in eine offenere und tolerantere Kirche.

Über dem Haupteingang der Kirche St.Paul weht die Regenbogenfahne. © Kiderle

Bunte Regenbogenfähnchen, pinke Tischdecken und rosa Servietten: Im Pfarrsaal von St. Paul in München ist festlich geschmückt. „Ein bisschen bunt, ein bisschen schwul“, sagt David Langenbuch und lacht. Doch dann verschwindet der 44-Jährige noch kurz in der Küche, wo sein knapp zehn Jahre älterer Ehemann Sven mit einem Tablett mit kleinen Dessertgläschen hantiert. Sie sind gerade mal zu dritt, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Ein weiteres Mitglied der queeren Gemeinde in München packt mit an. Es ist Sonntagnachmittag und bis zum Abend muss alles fertig sein, denn dann feiern sie das zwanzigjährige Jubiläum des „queerGottesdienstes“ mit anschließendem Umtrunk im Pfarrsaal.

Auch ein besonderer Gast wird erwartet: Kardinal Reinhard Marx wird erstmals den Gottesdienst mit der Münchner Queer-Gemeinde feiern. Die Erwartungen sind hoch: „Ich finde, dass dieser Tag mit Kardinal Marx so unglaublich wichtig ist. Aus meiner Sicht ist das ein Startschuss für eine neue Epoche in der katholischen Kirche“, sagt David. „Und damit wird ein Zeichen gesetzt, nicht nur für die Queers in München oder Bayern, sondern landes- und bundesweit.“ Auch Sven sieht das als große Geste: „Es schlägt Wellen und zeigt, dass sich hier etwas ändert.“ Die beiden engagieren sich seit 17 Jahren im Münchner „queerGottesdienst“ und sind Teil des „Queer-Forums“, des Leitungsgremiums. Einerseits ist es ein geschützter Raum für queere, christliche Menschen und andererseits bietet ihnen das Forum die Möglichkeit, sich für Toleranz sowie gesellschaftliche und kirchliche Akzeptanz einzusetzen – und die Dinge in Bewegung zu setzen.

 

Viermal Hochzeit feiern

Kennengelernt haben sich Sven und David sich im Jahr 2004 in einer Bar in München und sofort ineinander verliebt – nach vier Monaten waren sie bereits verlobt und knapp zwei Jahre später feierten sie Hochzeit. Da sich beide mit dem christlichen Glauben verbunden fühlen, wollten sie auch einen kirchlichen Segen für ihre Liebe: „Wir sind christlich geprägt, Sven evangelisch, ich katholisch“, erzählt David und Sven ergänzt: „Der religiöse Segen war uns wichtig. Einerseits für unseren Glauben und andererseits wollten wir damit ein Zeichen setzen und öffentlich zeigen: Wir gehören zusammen.“ Damals gab es für sie auf der amtlichen Ebene nur die Möglichkeit der eingetragenen Lebenspartnerschaft. Auf der Suche nach einem Priester lernten sie den „queerGottesdienst“ kennen und wurden bald schon Teil der Gemeinde. Auf ihrer Hochzeit segnete sie dann ein evangelischer Pfarrer und ein katholischer Priester. Für sie war es das Normalste auf der Welt, ihre Liebe auf diese Weise zu zelebrieren. Gleichzeitig gingen sie aber einen Schritt, für den die Kirche noch nicht bereit war. „Uns war damals gar nicht bewusst, wie revolutionär das war“, erzählt David rückblickend. „Als wir vergangenes Jahr zu dem Segnungsverbot des Vatikans von homosexuellen Paaren befragt wurden, wurde uns klar, dass wir seit sechzehn Jahren in einer ganz anderen Normalität leben.“

Pastoral: Belange homosexueller und transsexueller Menschen im Fokus

Doch es bewegt sich langsam etwas: Das Erzbistum München und Freising hat 2018 den Grundstein für eine regenbogenfreundliche Pastoral gelegt. Auf pastoraler Ebene sollen die Belange der homosexuellen und transsexuellen Menschen in den Fokus gerückt werden. Sven und David wollen sich nicht von der Kirche abwenden, auch wenn viele andere queere Menschen, die den Druck und den Frust nicht ertragen konnten, die Kirche verlassen haben. „Wir beide haben immer wieder an wichtigen Punkten in unserem Leben gemerkt: Gott ist uns nahe und die Kirche ist dafür der besondere Raum, das zu zelebrieren“, sagt David. Auch ihre Liebe möchten sie dort feiern und damit gleichzeitig die offiziellen Schritte, die für queere Menschen erreicht wurden. Als 2017 die Ehe für alle eingeführt wurde, feierten sie wieder Hochzeit: standesamtlich und mit kirchlichem Segen.

Ein historischer Gottesdienst für eine Kirche ohne Angst

Am Hauptportal der Paulskirche an der Theresienwiese weht eine Regenbogenfahne, während am Kirchenvorplatz eine kleine Menschengruppe gegen den Gottesdienst protestiert. Doch es bleibt ruhig. Vor dem Altar breiten Gemeindemitglieder eine weitere bunte Flagge aus. Sven und David sitzen in der ersten Reihe; David trägt einen hellblauen Anzug, Sven einen schwarzen. Auch Svens Maske ist in Regenbogenfarben. Sie halten sich immer wieder an den Händen, denn die Worte, die während des Gottesdienstes fallen, bewegen. Zu Beginn spricht das älteste Gemeindemitglied, Siegfried Steffes, zum Kardinal. Steffes steht im 88 Lebensjahr und ist seit 19 Jahren aktives Mitglied der Gemeinde. Er war verheiratet, hat Kinder und bekannte sich im Laufe seines Lebens zur Homosexualität. Steffes findet klare Worte: „Wir Queers fühlen uns schmerzlich als die Waisenkinder unserer Mutter Kirche. Wir sind vergleichbar mit Kindern, die von ihren Eltern nicht angenommen sind und entweder ihr Leben lang um die Liebe buhlen oder mit ihnen brechen.“ Er fügt hinzu: „Wir sind diejenigen, die buhlen und bleiben!“ Aus ihm spricht der Schmerz, der Kummer und auch die Enttäuschung der Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung immer wieder von der Kirche verletzt und ausgegrenzt wurden.

Kardinal Marx will inklusive Kirche

In seiner Predigt spricht der Kardinal von einem gemeinsamen Aufbruch: „Ich stehe dafür ein, dass wir eine inklusive Kirche werden.“ Die Gemeinde applaudiert. „Sie gehören dazu. Sie gehören zu uns!“ Nicht ausschließen, sondern einschließen – daran müsse die Kirche immer wieder arbeiten, denn der „Primat der Liebe“ stehe im Evangelium, betont Marx. Diese Liebe schließe alle mit ein. Der Kardinal unterstreicht auch die Notwendigkeit, zu sehen, „wie viel Verletzung wir angerichtet haben in den Lebensgeschichten vieler Menschen. Das berührt mich“. Umso wichtiger sei es, „jetzt aufzubrechen und neue Wege zu gehen mit der Sensibilität und Offenheit, auch die mit einzubeziehen, denen es sehr schwer fällt, diesen Weg zu gehen“. Der Erzbischof sichert zu, „dass wir als Erzbistum versuchen wollen, eine inklusive Pastoral“ voranzubringen, in der „Gemeinden zusammenkommen. Dass wir einander begegnen, dass Sie angenommen sind in den Pfarreien“. Am Ende singt der Regenbogenchor München noch „Over the Rainbow“ und genau dieser Regenbogen scheint für einen Moment über der Kirche zu erstrahlen.

Ein bewegter Abend und ein Neubeginn

Die Tische im Pfarrsaal sind mittlerweile voll besetzt. Zu Beginn gibt es noch ein paar Worte, auch der Kardinal spricht noch einmal zu den Anwesenden. David ist euphorisch und sagt mit vor Aufregung gerötetem Gesicht: „Da kommen ganz viele Gefühle hoch. Der Gottesdienst hat meine Erwartungen übertroffen. Es ist ein Meilenstein, ein Neubeginn“, sagt er. Pastoralreferent Gerhard Wachinger, einer der Mitbegründer des „queerGottesdienstes“, kommt an seinen Tisch, auch er ist sichtlich bewegt: „Man kann das alles noch gar nicht fassen“, sagt er und fügt hinzu: „Es ist für uns sehr ermutigend, dass Kardinal Marx diese Offenheit zeigt, gegenüber einer Neuorientierung der Sexualmoral in der Kirche.“ Marx wirkt ebenfalls in Feierlaune. An seiner Seite sitzt das älteste Gemeindemitglied Siegfried Steffes, auf der anderen sitzt Sven. Es gibt noch viel zu bereden. Doch erstmal darf gefeiert werden: Der Abend ist ein kleiner Farbtupfer in sonst dunklen Zeiten und ein historischer Neubeginn – nicht nur für die queere Gemeinde in München. (Eileen Kelpe, Volontärin Sankt Michaelsbund)