Zwischen Genuss und Trunkenheit

Rausch in der Bibel

Noah war betrunken, Jesus wurde als Säufer beschimpft - 240 Mal wird in der Bibel vom Wein gesprochen, von seiner positiven Wirkung auch als Heilmittel bis zum übermäßig konsumierten Betäubungsmittel.

„Der Wein erfreut des Menschen Herz.“ Psalm 104 © LIGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe.com

„An einem Rausch ist das Schönste der Augenblick, in dem er anfängt – und die Erinnerung an ihn“ - so sagt es Kurt Tucholsky. Was hat es mit dem Rausch auf sich? Der mehrfach ausgezeichnete Film von Thomas Vinterberg „Der Rausch“, der letztes Jahr im Sommer in den Kinos lief, er berichtet von einem Experiment, dass ein Lehrer in der Midlife Crises drei andere Freunde für eine sozusagen wissenschaftliche Untersuchung gewinnt und sie sich nach einem Gedanken eines norwegischen Philosophen täglich 0,5 Promille Alkohol zuführen.

Und wirklich, der Alltag funktioniert wieder viel besser, auch wenn die Feinmotorik des Quartetts ziemlich durcheinandergewirbelt wird. In einer Kritik zu dem Film ist zu lesen: „Hinter dem Promille-Spiel verbergen sich größere Fragen: Wie findet man Zufriedenheit? Was kann der Alkohol, was der Alltag ohne Alkohol nicht kann? Und woher kommt sie überhaupt, die Sehnsucht nach dem Rausch? Und ist sie Sucht oder Sehnsucht?“

Regeln des Heiligen Benedikt

Der Heilige Benedikt warnt in seiner Regel immer wieder vor „Trunkenheit“ und „Sättigung“. Gerade den Verantwortlichen eines Klosters bringt er das in Erinnerung. Im 40. Kapitel der Regel ‚Vom Maß des Getränks‘ schreibt er: „Der Wein bringt selbst die Weisen zum Abfall.“

Doch bei aller Genügsamkeit lässt er zu, was Freude bereitet, er hält sich zurück angesichts unterschiedlicher persönlicher Empfindung, was das Maß der Nahrung betrifft. Schon Konfuzius wusste: „Am Rausch ist nicht der Wein schuld, sondern der Trinker.“ Auch im Neuen Testament liest man: „Berauscht euch nicht mit Wein, das macht zügellos“ (Eph 5,18) und an anderer Stelle ist davon die Rede, dass ein Bischof kein Trinker sein soll (vgl. Tit 1,7).

Wein und Bier in der Bibel

Und doch: Wenn in der Heiligen Schrift 240 Mal vom Wein und 16 Mal vom Bier gesprochen wird, dann meist in einem positiven Zusammenhang. „Wie der Ofen das Werk des Schmiedes prüft, so ist der Wein eine Probe für die Zuchtlosen. Wie ein Lebenswasser ist der Wein für den Menschen, wenn er ihn mäßig trinkt. Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat, der doch von Anfang an zur Freude geschaffen wurde? Frohsinn, Wonne, Lust bringt der Wein, zur rechten Zeit genügsam getrunken“ (Sir 31,26-28). Immer wieder wird der Psalm 104 zitiert, wo es heißt: „Der Wein erfreut des Menschen Herz.“

Auch als Heilmittel wird der Wein beschrieben, wenn etwa im Timotheus-Brief steht: „Trink nicht nur Wasser, sondern nimm auch etwas Wein, mit Rücksicht auf deinen Magen und deine häufigen Krankheiten“ (1Tim 5,23). Auf den sogenannten Mischwein verweist auch der Heilige Benedikt, wenn ein Bruder gestärkt werden soll für seinen Dienst. Das hatte allerdings auch den Grund, dass die Wasserqualität in damaligen Zeiten oft zu wünschen übrigließ.

Thomas von Aquin über Sich-betrinken und Trunkenheit

Von der altgriechischen Medizin bis zur Ernährungswissenschaft von heute wird die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme beschrieben, die Heilkraft des Genießens und die Lebensgefährlichkeit bei Mangel und Überfluss. Neue wissenschaftliche Studien besagen, dass es keinen Zusammenhang gibt von negativer Stimmung und Alkoholkonsum, sondern dass bei guter Laune die Trinkwahrscheinlichkeit sogar höher liegt.

Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin beschreibt in seiner Summa theologica (Quaestiones II, II 149 und 150) Nüchternheit und Trunkenheit und ihre Beziehung zu Tugend und Laster. Es geht um keine enge, moralisierende Färbung, wenn er sagt, es würde jemand, „der wissentlich so sehr sich vom Wein enthält, dass er seine Natur dadurch schwer belaste, nicht frei von Schuld sein.“ Die Verantwortung also bestimmt bei Thomas die Schuldfrage, er unterscheidet zwischen Sich-betrinken und Trunkenheit: Das eine Mal zeugt Trunkenheit von einem Mangel des Menschen, so dass er bei starkem Weingenuss der Vernunft nicht mehr mächtig ist, das andere Mal zieht sich der Mensch diesen Mangel zu durch starken Wein oder auch ungeordnetes Verlangen und unmäßigen Genuss. So stellt nach Thomas dann Paracelsus die klinisch gültige Formel auf, dass eine Substanz in kleiner Dosis ‚Medicamentum‘, in hoher Dosis aber ein ‚Venenum‘, ein ‚Gift‘, sei.

Trunkenheit in der Bibel

Von der betäubenden Wirkung des Weines ist nicht nur im Psalm 78 die Rede. Der babylonische König Belschazzar gibt in Weinlaune einen verhängnisvollen Befehl, der zum Unheilsorakel ‚Menetekel‘ führt (Dan 5). Der brutale Holofernes verliert in Trunkenheit – im wahrsten Sinne des Wortes – seinen Kopf (Jdt 13). Lot, der Neffe Abrams, verschafft seinen Töchtern Nachwuchs, nachdem sie ihm Wein zu trinken geben und sie „sich zu ihm legen“ (vgl. Gen 19,35). Die Trunkenheit des Noah (Gen 9,21-27) dient der Botschaft, dass Menschen und Völker sich unterschiedlich verhalten, so wie eben seine drei Söhne.

Jesus und der Wein

Die Geschichten um Lot und Noah verwendet auch Jesus als Warnung, wenn er vom Kommen des Menschensohnes spricht. Er selbst wird als „Fresser und Säufer“ beschimpft, weil er mit „Zöllnern und Sündern“ Mahl hält (vgl. Lk 17,26-28; Mt 24,37-42 und 11,19). Die Heilstaten Jesu sprechen für sich, trotz dieser gravierenden Anschuldigungen. Er ruft zur Wachsamkeit und er will letztlich das Fest des Menschen, wenn er sein erstes Wunder bei der Hochzeit von Kana tätigt. Das Wasser, das in edlen Wein gewandelt wird, steht für die Fülle und die Freude des Lebens, ja der Wein steht somit für die Fülle des anbrechenden Gottesreiches.

Viele Male zieht Jesus den Wein und den Rebstock als großes Sinnbild heran. Nicht zuletzt in der Einsetzung der Eucharistie, wenn er Segensworte über Brot und Wein spricht und seine Jünger zur Wiederholung als Danksagung auffordert. Man kann Christus als Weinfreund bezeichnen, denn in seinem Leben als auch in seiner Sterbestunde ist Wein zentral. Vor seiner Kreuzigung lehnt er Wein, wahrscheinlich Myrrhewein, zur Schmerzlinderung ab, am Kreuz selbst wird ihm dann billiger, saurer Wein gereicht, welcher das Leiden eher verschlimmert. Zur Zeit Jesu gehörte der Wein als tägliches und als Fest-Getränk dazu.

Rausch durch emotionalisierende Ereignisse

Es kommt damals wie heute eben immer auf die Dosis und das ‚Maßvolle‘ an, von dem der Heilige Benedikt auch immer wieder spricht, nicht nur in Bezug auf Ess- und Trinkgewohnheiten. Neben Alkohol kann ein Rausch, also ein Zustand glückhafter Erregung, durch Rauschmittel bzw. Drogen oder auch durch emotionalisierende Erlebnisse ausgelöst werden.

Unsere Sprache verrät es uns, wenn wir davon sprechen, dass jemand ‚völlig außer sich‘ war, wie ‚in Trance‘ oder ‚von allen guten Geistern verlassen‘. Anklänge daran gibt es auch, wenn die Angehörigen Christi behaupten, Jesus sei „von Sinnen“ (vgl. Mk 3,21). Jean-Jacques Rousseau sagt: „Ein gerader Mensch scheut nicht die freundschaftlichen Geschwätze, die aus dem Rausche hervorgehen.“

Das Wort ‚Geschwätz‘ wird gerade auch in Kreuzworträtseln mit mancherlei Synonymen umschrieben, welche eher negativ besetzt sind und davon zeugen, dass man nicht ganz bei der Sache ist, dass man wie abgehoben wirkt oder ausschweifend etwas erklärt. Der römische Historiker Tacitus beschrieb, wie die Germanen bei Ratssitzungen immer Wein tranken, weil sie glaubten, niemand könnte effektiv lügen, wenn er betrunken ist.

Wein mahnt zur Weisheit

Dem Wein wird eine geradezu magische Wirkung bescheinigt, wenn der Lyriker Alkaios von Lesbos sagt: „In vino veritas – im Wein liegt die Wahrheit.“ Auch die Bibel nutzt den Wein immer wieder im übertragenen Sinne als Mahnung zur Weisheit: „Sie essen das Brot des Unrechts und trinken den Wein der Gewalttat.“ (Spr 4,17). Im Buch der Psalmen heißt es in einem Bittgebet des von Gott verstoßenen Volkes: „Hartes ließest du schauen dein Volk, du hast uns getränkt mit betäubendem Wein“ (Ps 60,5).

„In abgestufter und individuell unterschiedlicher Weise kann der Rausch von Wahrnehmungsstörung, Bewusstseinsveränderung, Verminderung der Selbstkontrolle und Orientierungsverlust begleitet sein“ - so die Brockhaus-Enzyklopädie. Schrift und Moraltheologie zählen den frei gesuchten Rausch zu den Wurzelsünden, welche zu anderen Sünden führen können. Dabei ist die sittliche Qualifizierung von der Doppelwirkung einer Handlung her vorzunehmen.

Diskussion um die Legalisierung von Drogen

Nicht erst seit der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis jenseits der schmerzerträglicheren Wirkung steht die ganze Drogenpolitik in Deutschland und darüber hinaus zur Diskussion, auch in Bezug auf den Jugendschutz. Allzu schnell sind mit einem Rausch eines Menschen alle möglichen Dinge und Vorurteile verbunden, so natürlich auch, dass Drogenkonsum unweigerlich in die Sucht führt.

Und doch gibt es für jede einzelne Substanz auch verschiedene Szenarien in diesem Bereich von Entrückung bis zur Verdrängung, von Ekstase bis hin zu Aggressionsmomenten. Wer mit Abhängigen und Therapeuten spricht, der erfährt, wie außerordentlich schwer es ist, verschiedenste Muster und Kompensationen, die sich eingeprägt haben, immer wieder zu durchbrechen, ihnen nicht ausgeliefert zu sein und sich auf die eigenen Stärken und Ressourcen zu besinnen.

Rausch bringt Sehnsucht zum Vorschein

„Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2Kor 12,9) – so sagt es Paulus in seiner Ohnmacht und in seinen Ängsten. Immer wieder warnt er in seinen Briefen vor Trunkenheit und ihren schlimmen Folgen, eben die Kontrolle über sich selbst zu verlieren und vom Weg mit seinem Gott abzukommen. Doch bei aller Problematik, allen Auswüchsen und allen oft nicht leichten Folgen, lässt der Rausch Menschen über sich hinauswachsen, kommt eine Sehnsucht zum Vorschein, die scheinbar immer wieder gestillt werden will, ganz nach der Spruchweisheit: „Der Rausch von gestern löscht nicht den Durst von heute“.
(Valentin Ziegler OSB, Benediktiner und Krankenhausseelsorger in Neuperlach)