Gesellschaftliche Diskussion

Ranghohe Protestanten wollen Suizidhilfe ermöglichen

Diakonie-Chef und EKD-Ethik-Experte Anselm wollen Suizidbeihilfe in kirchlichen Einrichtungen ermöglichen. Die offizielle Position der EKD ist eine andere. Kritik kommt von den katholischen Bischöfen.

In einer Hand befindet sich eine Vielzahl verschiedenfarbiger Tabletten. © Kenishirotie - stock.adobe.com

In einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" plädieren führende protestantische Theologen dafür, in Deutschland einen assistierten, professionellen Suizid zu ermöglichen. In dem am Montag veröffentlichten Statement betonen der Vorsitzende der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Reiner Anselm, der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverband Diakonie, Ulrich Lilie und Theologie-Professorin Isolde Karle von der Ruhr-Universität Bochum, kirchliche Einrichtungen sollten sich dem Suizid nicht verweigern.

Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Selbstbestimmung am Lebensende nachdrücklich betont habe, könne es eine Aufgabe kirchlich-diakonischer Einrichtungen sein, neben medizinischer und pflegerischer Versorgung auch "Rahmenbedingungen für eine Wahrung der Selbstbestimmung bereitzustellen", so die Autoren. Dies könne bedeuten, "abgesicherte Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten".

Sterbehilfe wurde 2020 legalisiert

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 den Strafgesetzbuch-Paragrafen 217 für nichtig erklärt und damit das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Die Richter betonten, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Darin sei die Freiheit eingeschlossen, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

Lilie und Anselm betonen in dem eine Seite langen FAZ-Gastbeitrag, dass "alle berechtigten Einwände" nicht daran vorbeikämen, dass die Selbstbestimmung auch im Sterben gelten müsse. "Die Einsicht, dass die besondere Würde der Person als Fundament der liberalen Kultur keinen Widerspruch zu den eigenen Traditionen darstellt, gehört zu den entscheidenden Lernerfahrungen der christlichen Ethik der Gegenwart - im Protestantismus ebenso wie im Katholizismus", so die Autoren. Hinsichtlich der Achtung des Individuums und seiner Selbstbestimmung gebe "es keine Differenz zwischen dem Urteilstenor des Verfassungsgerichts und der Position der evangelischen Ethik".

Freie Entscheidung

Für die konkrete Fragestellung des assistierten Suizids gelte es, sicherzustellen, dass es sich um eine freie und verantwortliche Entscheidung handle.

Die Evangelische Kirche in Deutschland distanzierte sich von der Perspektive der Theologen. "Jede organisierte Hilfe zum Suizid, die dazu beiträgt, dass die Selbsttötung zur Option neben anderen wird, lehnt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ausdrücklich ab", teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. Das habe die EKD in ihren Stellungnahmen, die der Rat der EKD zuletzt noch einmal ausdrücklich bekräftigt hat, immer wieder deutlich gemacht.

Die EKD setze sich für den Schutz des Lebens ein und stehe dabei auch an der Seite derer, die aufgrund von Erkrankung oder einer anderen Notsituation keinen anderen Ausweg als die Selbsttötung sähen. "Dass Menschen nur noch die Möglichkeit des Suizids sehen, ist immer eine tragische Grenzsituation, die die EKD und ihre Diakonie durch die Bereitstellung palliativer Versorgung, Seelsorge, Beratung und die Arbeit der Hospize zu verhindern versuchen", so der Sprecher.

Diskusssion über Leid und Tod wichtig

Die EKD halte den gesellschaftlichen Diskurs über den Umgang mit Leid und Tod für notwendig, teilte sie mit. Zu diesem Diskurs könnten auch evangelische Stimmen beitragen, die von der klaren Position des Rates der EKD abweichen.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz widersprach der Position der Autoren. "Respekt vor der Selbstbestimmung bedeutet in diesen Situationen gerade nicht, den Wunsch oder die Entscheidung zum Suizid unhinterfragt hinzunehmen oder den Suizid als normale Form des Sterbens auszuweisen", sagte Konferenz-Sprecher Matthias Kopp der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. "Wir sind daher der Überzeugung, dass die Ermöglichung des assistierten Suizids nicht die richtige Antwort auf die Lebenssituationen von Menschen ist, die Suizidwünsche entwickeln oder Suizidabsichten haben." Die Unterstützung bei der Entwicklung von Lebensperspektiven sei in diesen Situationen geboten.

Assitierter Suizid droht zum Normalfall zu werden

Ein subtiler Druck, dem assistierten Suizid zuzustimmen, um am Ende des Lebens anderen nicht zur Last zu fallen, sei eine große Gefahr. "Wir glauben, dass dieser Druck sich von Kranken und Sterbenden nicht mehr fernhalten ließe, wenn der assistierte Suizid zu einem Normalmodell des Sterbens würde, das bis in kirchliche Einrichtungen hinein Anwendung fände. Das darf nicht geschehen!", betonte Kopp.

Die Autoren des Gastbeitrages argumentieren hingegen, kirchliche Einrichtungen könnten sichere Orte sein, weil sie Sterbewilligen unter kontrollierten Rahmenbedingungen in einem aus dem christlichen Glauben entspringenden Respekt vor der Selbstbestimmung Beratung und Begleitung anbieten könnten. Dabei könnten Gemeindepfarrer gegebenenfalls einem von Suizidwilligen empfundenen "Druck aus dem nahen Umfeld" entgegenwirken, schreiben Lilie und Anselm, Professor der theologischen Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zudem könnten sie Sterbehilfeorganisationen die Grundlage entziehen, heißt es in der Stellungnahme, die demnach in einem Diskussionsprozess gemeinsam mit Hannovers Landesbischof Ralf Meister, dem Mitglied des Rates der EKD, Jakob Joussen, sowie dem Theologen Friedemann Nauck entstanden ist.

Kirchen müssen Leben fördern

DBK-Sprecher Kopp entgegnete jedoch, dass kirchliche Einrichtungen mit der christlichen Hoffnungsbotschaft der Förderung des Lebens verpflichtet seien. "Das Ermöglichen von Angeboten des assistierten Suizids in diesen Einrichtungen wäre mit deren Wesenskern nicht vereinbar."

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz betonte, dass es bei der Suizidbeihilfe nicht nur um sterbende Menschen gehe. Das Bundesverfassungsgericht stelle die Selbstbestimmung über alles, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. "Denn lebenssatte, einsame, pflegebedürftige oder psychisch erkrankte Menschen haben ebenso ein Recht auf Hilfe zur Selbsttötung", so Brysch. Zugleich verwies er darauf, dass "dies eine unerträgliche Zumutung für die Beschäftigten" von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser in protestantischer Trägerschaft sein werde. Es werde Zeit, dass sich die evangelischen Kirchen in Deutschland in aller Breite dieser Diskussion stellten.
(kna)

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