Einsatzkräfte im Stress

Polizeiseelsorge nach Corona-Protesten gefragt

Seit Monaten machen viele selbsternannte Querdenker Polizisten den Job schwer. Sie pöbeln die Beamten an, beleidigen sie und versuchen, sie im Internet lächerlich zu machen. Die Polizeiseelsorge hat nach Querdenker-Kundgebungen ein offenes Ohr für belastete Beamte.

Polizisten am Rande einer Querdenker-Demo auf dem Münchner Königsplatz © imago/Wolfgang Maria Weber

München – Daniel von den Stemmen ist als Zugführer der ersten Einsatzhundertschaft des Münchner Polizeipräsidiums einiges gewohnt. Aber seit mehreren Monaten kommen er und seine Kollegen kaum noch aus den Stiefeln. Besonders im Dezember und Januar mussten sie oft dreimal pro Woche angemeldete und unangemeldete Kundgebungen der sogenannten Querdenker-Bewegung begleiten.

Versammlungsteilnehmer sind keine Gegner

„Die Teilnehmer haben einen hohen Diskussionsbedarf mit uns Polizeikräften“, sagt von den Stemmen ruhig. Dann ist aber doch zu merken, dass sich die Einsatzkräfte ungewöhnlich viel von den Querdenkern gefallen lassen mussten. Sie haben Polizistinnen und Polizisten absichtlich angehustet, verbindliche Mindestabstände und Routen bewusst nicht eingehalten. Die heftigen Beleidigungen gegen die Einsatzkräfte sind dabei noch gar nicht mitgerechnet. Trotzdem sagt der Beamte: „Wir betrachten Versammlungsteilnehmer grundsätzlich nicht als Gegner und versuchen, alles professionell zu handhaben.“

Gehässige Kommentare gegen Polizisten

Von den Stemmen räumt jedoch ein, dass es nicht immer leicht sei, keine Wut zu bekommen und mit dem Stress in der Uniform zurechtzukommen. Besonders, wenn die Querdenker aufdringlich und provozierend die Beamten mit dem Handy filmen. Er selbst hat es nicht erlebt, aber die Pressestelle der Münchner Polizei berichtet davon, wie manche Kundgebungsteilnehmer die Einsatzkräfte in den Sozialen Medien lächerlich machen wollen. Da ist immer wieder zu sehen, wie kleine Gruppen Polizistinnen und Polizisten überrennen und zu Boden reißen, verbunden mit gehässigen Kommentaren.

Polizeiseelsorge bietet geschützten Raum

Auch wenn sich nun einiges beruhigt hat, erwartet Polizeipfarrer Andreas Simbeck, dass er darüber mit den Beamten in nächster Zeit häufiger sprechen wird. Wenn ein Einsatz den anderen jagt, bleibt zunächst keine Zeit, darüber groß nachzudenken, „aber dann kommt es doch hoch“. Besonders schockierend sei für die Beamten die Häme, die in Sozialen Medien über sie ausgeschüttet wird.

Nach dem Mord an einer Polizistin und einem Polizisten in Rheinland-Pfalz verstärkte sich das nochmals. „Das lässt die Kollegen nicht unberührt, wenn es dort heißt: gut, dass es nun wieder zwei Ordnungshüter weniger gibt“, sagt Pfarrer Simbeck. „Das tut niemand einfach so ab, wenn ihm andere öffentlich Böses oder den Tod wünschen.“ Dann bräuchten die Polizistinnen und Polizisten ein offenes Ohr und einen geschützten Raum.

Zweifel am Sinn des Dienstes

Beim psychologischen Dienst oder beim Seelsorger dürfen sich die angestauten Gefühle entladen. In den vertraulichen Gesprächen erlebt der Priester Tränen - genauso wie Wutausbrüche, „und die lasse ich auch zu“. Etwa, wenn Beamte detailgenau erzählen, wie sie einem schweren Wurfgeschoss gerade noch ausweichen konnten, oder wenn Posts in den Sozialen Medien Kollegen herabwürdigen.

Vielen hilft das schon, mit den Erfahrungen der vergangenen Wochen und Monaten fertigzuwerden. Allerdings zweifeln einige auch am Sinn ihres Dienstes, wenn Demonstranten sie nur noch als Feinde oder auch Schwächlinge darstellen. Pfarrer Simbeck erinnert sie dann, „wie viel gut läuft im direkten Bürgerkontakt, wie viel sie helfen können und wo sie dafür auch Dankbarkeit spüren“.

Rituale helfen

Auch Gemeinschaftserlebnisse wie Gottesdienste können helfen. „Rituale mit spirituellen Elementen geben Ruhe, Sicherheit, lassen wieder klarer denken und optimistischer in die Zukunft blicken.“ Durch die Corona-Pandemie waren sie in jüngster Zeit allerdings stark eingeschränkt. Doch vor dem G7-Gipfel im Juni, der im oberbayerischen Elmau unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen stattfindet, wollen Pfarrer und Polizeipräsidium zu einem großen Gottesdienst einladen.

Einsatzzugführer von den Stemmen weiß noch nicht, ob er dabei ist. Trotzdem ist er über die Gottesdienste und die Polizeiseelsorge froh. „Es ist gut, dass es so etwas gibt und qualifizierte Fachleute nach extremen Situationen helfen können.“ Dann rückt er sein Barett zurecht und hofft, dass der nächste Einsatz friedlich bleibt.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de