Soziale Ungleichheit

Philosoph warnt vor negativen Seiten der Corona-Solidarität

Die Welle der Solidarität droht soziale Probleme zu überdecken, erklärte der Münchner Philosophie Professor Michael Reder. An die Politik hat er deswegen konkrete Forderungen.

Der Philosoph warnt davor, dass die soziale Ungleichheit wachsen könnte – trotz aller Solidarität. © honigjp31 - stock.adobe.com

München – Der Münchner Philosoph Michael Reder warnt vor den negativen Seiten der Corona-Solidarität. "Trotz allem Positiven, das mit der aktuellen Welle der Solidarität verbunden ist, reproduziert und verstärkt dieses Handeln auch altbekannte Strukturen sozialer Ungleichheit", sagte der Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie an der Münchner Hochschule für Philosophie der Jesuiten am Donnerstag. "Wir müssen aufpassen, dass uns das Betonen von Solidarität nicht blind für diese Entwicklungen macht." - Aktuell forscht der Professor im Rahmen eines vom Bundesbildungsministerium geförderten Projekts zu "Praktiken der Solidarität".

Als Beispiel für negative Entwicklungen in der Corona-Krise nannte Reder die finanzielle Last für Geringverdiener. Die Mittelschicht kann seiner Ansicht nach die finanziellen Einschnitte durch Kurzarbeit oder unbezahlten Urlaub zur Kinderbetreuung deutlich besser verkraften als Menschen mit geringerem Einkommen. "Die Folgen für die, deren Situation auch vor Corona schon schlecht war, erscheinen auch heute nur am Rand der öffentlichen Debatten." Das führe zu weiterer Benachteiligung und werde vermutlich langfristige Folgen haben.

Problematischer Hang zu nationalen Alleingängen

Für umso wichtiger hält der Philosoph ein Bewusstsein für die politische Dimension der aktuellen Entscheidungen. "Durch Covid-19 entsteht häufig der Eindruck, jede Entscheidung sei aufgrund ihrer wissenschaftlichen Begründung alternativlos." Doch medizinisches Wissen und politisches Handeln seien nicht das Gleiche. Die Politik müsse ihre Maßnahmen auch in Krisenzeiten gut begründen und offen für die Kritik anderer gesellschaftlicher Akteure sein.

Als besonders problematisch bezeichnete der Experte für Völkerverständigung den Hang zu nationalen Alleingängen, obwohl die Pandemie eine globale Krise sei. Dies fördere nationale Abschottungen und auch rassistische Vorurteile. Weder über die Geflüchteten auf Lesbos noch über die Menschen in den Kriegsgebieten Syrien und Jemen werde ausreichend gesprochen. Doch Solidarität achte auf die Ausgeschlossenen, die nicht gehört würden - innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft. Genau darin bestehe ihr Potenzial. "Und dieses Potenzial der Solidarität brauchen wir heute mehr denn je", so Reder. (kna)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Corona - Pandemie