Meinung
Zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

Pflicht zur Erinnerung – auch zu Hause!

Der Holocaustgedenktag sollte nicht nur Thema von Spitzenvertretern aus Politik oder Religion sein. Sondern auch zu Hause. Ein Kommentar von Tanja Bergold.

Ein Mann gedenkt in Auschwitz der Opfer des Nationalsozialismus © imago/Eastnews

Ich erinnere mich noch genau – mein Sohn war ungefähr 7 Jahre alt und wir waren auf dem Weg zum Fußballtraining.  Da fragte mich der kleine Mann „Du Mama, wer war eigentlich der Hitler und warum hat der die Juden umgebracht? Ich war so platt, dass ich etwas rumgestottert habe. Obwohl ich historisch fit bin, fehlten mir in dem Moment die Worte. Was ich genau geantwortet habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch: Das Thema war mir unangenehm. Wie sollte ich das Unvorstellbare einem Kind erklären? Und: Muss das sein?

In der Zwischenzeit ist viel passiert. Übergriffe auf jüdische Mitbürger häufen sich. Männer, die eine Kippa tragen, werden öffentlich geschlagen. Jüdische Einrichtungen oder Gräber werden geschändet und mit Hassparolen oder Hakenkreuzen beschmiert. Und dann der Anschlag von Halle auf die Synagoge. All das mitten in Deutschland. Zu allem Überfluss erstarkt hierzulande auch noch eine Partei, die – so Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden - „völkisches Denken wieder salonfähig machen will“.

Eins ist auch noch passiert: Ich habe das NS-Vernichtungslager Auschwitz besucht. Ein Moment in meinem Leben, der nur schwer in Worte zu fassen ist. Aber dieser Moment hat etwas mit mir gemacht. Ich achte verstärkt auf meine Sprache, mische mich ein, rede mit Menschen aus meinem Umkreis, überhöre auch keinen Witz mehr, sondern sage laut und deutlich: Das sagt man nicht oder darüber lacht man nicht.

Auschwitz hat eine Vorgeschichte

Auschwitz war nicht plötzlich da, aus Menschen wurden nicht von jetzt auf gleich Mörder. Es gibt eine Vorgeschichte. Ich habe das Gefühl: Auch wir befinden uns gerade in einer Art Vorgeschichte, antisemitische und rassistische Tendenzen sind nicht mehr zu überhören. Darum sind Gedenktage wichtig! Vor allem jetzt, da Zeitzeugen noch am Leben sind, die zu uns sprechen und denen wir zuhören können. Aber was ist am Tag danach? Kehren wir zur Normalität zurück und warten bis zum nächsten Gedenktag? Ich finde, das darf nicht sein.

Als Bundespräsident Frank Walter Steinmeier letzte Woche als erstes deutsches Staatsoberhaupt eine Rede in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hielt, sagte er „Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit, es sind nicht dieselben Worte. Es sind nicht dieselben Täter. Aber es ist dasselbe Böse“.

Unsere Verantwortung hört nie auf. Und daher habe ich heute eine klare Antwort auf die Frage, die ich mir damals bei der Unterhaltung mit meinem Sohn gestellt habe: Muss das sein? Ja, es muss!