Kirche in Krankheitszeiten

Pestlöffel und Seelentrost

Pest, Cholera, Corona - Bei Seuchen war und ist die Kirche immer herausgefordert. Ein Blick in die Archive verrät, wie früher Seelsorge in Zeiten von Seuchen funktioniert hat.

Pestlöffel aus Tegernsee. Er ist ausgeklappt 56,5 cm lang, aus Silber und im vorderen Teil, auf dem die Hostie zu liegen kam, vergoldet. © Roland Götz

Es war wohl eine besondere interne Stellenausschreibung, die Veit Adam von Gepeckh 1634 verbreiten ließ. Der Freisinger Fürstbischof suchte einen Pestseelsorger für seine Stadt, der sich um die Erkrankten kümmerte, Beichten abnahm, die Kommunion brachte, die letzte Ölung und geistlichen Zuspruch spendete. Eine lebensgefährliche Aufgabe, für die der Arbeitgeber auch etwas bieten musste.  
 
Roland Götz vom Archiv des Erzbistums zieht das gut erhaltene Dokument, eine Art Dienstvertrag, aus einem säurefreien Karton. Höchstpersönlich hat es der Fürstbischof mit barocken Schnörkeln unterzeichnet. Es verspricht dem Priester freie Kost und Logis, ein Vorgriffsrecht auf in den nächsten Jahren freiwerdende Pfarrstellen sowie ein standesgemäßes ehrenvolles Begräbnis, falls der Geistliche in Ausübung seines speziellen Amtes verstürbe.  
 
Der Priester, der diesen gefährlichen "Job" annahm, ist ebenfalls auf dem Dokument verzeichnet: Bartholomäus Herzenfro ist sein Name. Was aus ihm wurde, kann der Historiker und Archivar Roland Götz allerdings nicht sagen. "Da müssten wir tief in unseren Akten graben." Immerhin können alle Hobby- und Profiforscher diese Quellen seit einigen Monaten zu einem großen Teil online daheim durchforsten. In Zeiten des Coronavirus ein besonderer Segen. 
 
Ursprung der Oberammergauer Passionsspiele 
 
Roland Götz aber zieht ein weiteres Originaldokument von 1634 aus einer Mappe, versehen mit dem Siegel und der Unterschrift Maximilians I. Darin mahnt der Kurfürst den Fürstbischof dringend, die Krankenpastoral zu verstärken. Es war eben ein Pestjahr und die Bevölkerung von der Epidemie betroffen.  
 
Das berühmteste Beispiel stammt aus Oberammergau. Dort zeigt das Sterbebuch der Pfarrei einen rasanten Anstieg der Todesfälle. Die Bevölkerung gelobte damals ein regelmäßiges Passionsspiel, wenn die Seuche zum Stillstand käme. Bis heute halten sich die Oberammergauer treu daran.  
 
Dass die Geistlichen auch ohne fürstbischöflichen Appell und in Aussicht gestellte Vergünstigungen den Gläubigen zur Seite standen, zeigt das Sterbebuch aus Oberammergau ebenfalls. Unter den Toten sind zwei Priester. Sie dürften sich bei Krankenbesuchen angesteckt haben. "Die historischen Unterlagen zeigen exemplarisch, dass die Kirche sich bei Seuchen verpflichtet fühlt, die Seelsorge bei Infizierten schnell zu gewährleisten", erklärt Roland Götz: "Sie sollen nicht im Stich gelassen werden, gleichzeitig versucht man die Ausbreitung möglichst einzudämmen."  

Hilfspriester zu Pestzeiten 
 
Das ist im 21. nicht anders als im 17. Jahrhundert, wenn auf Gemeindegottesdienste verzichtet wird, Kardinal Reinhard Marx aber klarstellt, "in Notfällen wird die Seelsorge weiter für die Menschen da sein", die in der momentanen Krise verstärkt das Internet nutzt.  
 
1681 hat die Diözese diese Seelsorge mit Freiwilligen geleistet. Roland Götz zieht eine Liste aus jenem Jahr hervor. Auf ihr stehen die Namen von Kooperatoren und Vikaren, also Hilfspriestern, die bereit waren, Pestkranke zu begleiten. Sie wurden vorsorglich schon gleich nach den ersten Anzeichen der Epidemie gesucht. Ziel sei es gewesen, die regulären Pfarrer nicht mit diesem Dienst zu betrauen, sondern eigene Geistliche für diese Sonderseelsorge zu bestimmen, "um die Ansteckungsgefahr vor Ort zu verringern und auf wenige Geistliche zu konzentrieren", erläutert Götz. 

Seuche als Strafe Gottes 
 
Für das entlegene Kreuzholzhausen bei Dachau scheint sich aber niemand gefunden zu haben, so dass der Pfarrer des Dorfes, als "bonus pastor" also als guter Hirte, sich bereit erklärte, "sein Seel darzugeben" und sich unmittelbarer Lebensgefahr auszusetzen. Nicht alle Geistlichen zeigten eine solche Selbstlosigkeit.  
 
Aus dem Landgericht Erding liegen Ermahnungen an die kirchliche Obrigkeit vor, die Geistlichen zur Seuchenseelsorge anzuhalten. Prediger müssten zudem, so heißt es in den Unterlagen aus Erding, von der Kanzel herab deutlich machen, "wie ein grosse Sündt es sey, wann eine inficierte Persohn under gesundte Leith laufft und selbige so muethwillig umbs Leben bringe". Denn die Pfarrer versammelten die Gläubigen in der Kirche weiterhin zu Gottesdienst, Gebet und Andacht, um die Seuche abzuwenden, die als Strafe Gottes gedeutet wurde. Sie hielten zudem Verbindung zu den übergeordneten kirchlichen Behörden, beobachteten die Seuchenentwicklung, führten mittels der Sterbebücher Statistik.  
 
Abstand durch Pestlöffel 
 
Ihr eigenes Ansteckungsrisiko versuchten sie nach den damaligen Erkenntnissen möglichst gering zu halten. Wenn die gemeinsamen Gottesdienste dem auch zu widersprechen scheinen, versuchten einzelne Priester schon damals körperlichen Abstand zu Erkrankten zu halten, so wie das auch jetzt beim Corona-Virus empfohlen wird.  
 
Roland Götz verweist dabei auf ein seltenes Instrument, das heute noch in Tegernsee aufbewahrt wird: einen sogenannten Pestlöffel, den der Münchner Goldschmied Franz Keßler wohl Ende des 17. Jahrhunderts anfertigte. Der Stiel lässt sich mittels eines Gelenks auf eine Länge von 56 Zentimetern ausklappen und mündet in ein vergoldetes Schäuflein, von dem die Kranken die Hostie nehmen konnten.  

Sterbebücher geben Auskunft 
 
In den Sterbebüchern wird es durch die Jahrhunderte immer wieder deutlich, wenn Seuchen die Bevölkerung befielen. 1918, als die Spanische Grippe grassierte, ist die Zahl der Ziviltoten deutlich höher als sonst, allerdings werden die Todes- und Krankheitsarten sehr unbestimmt angegeben, so Archivar Götz. Kein Wunder, die kriegführenden Staaten übten scharfe Zensur. Über die massenhafte Ausbreitung der neuartigen Grippe wurde kaum berichtet oder informiert, um die Moral der Bevölkerung nicht zu schwächen. Nur im neutralen Spanien war in den Zeitungen ausführlich über die Epidemie zu lesen, weshalb sie auch ihren Namen bekam, obwohl die Masseninfektionen wahrscheinlich zuerst in den USA auftraten.  
 
Infektionskette und Reisewarnung 
 
Eindeutig sind in den Pfarrmatrikeln dagegen die Beschreibungen der großen Cholera-Epidemien im 19. Jahrhundert, die damals oft als "Brechruhr" bezeichnet wird. Allein in der Bayerischen Landeshauptstadt starben daran laut München-Wiki 3000 Menschen. Aber auch auf dem Land waren Fälle zu verzeichnen.  
 
So schreibt der Pfarrer von Schliersee an das Münchner Ordinariat, dass in Miesbach ein Lehrer, der Besuch von seiner Mutter aus München bekommen und ein Posthalter, der sich in der Hauptstadt aufgehalten habe, an der Cholera verstorben seien. Die Geistlichen aus der Umgebung hätten sich gedrängt gefühlt, diese Fälle "gehorsamst zur Anzeige zu bringen", weil nun auch die dortige Landbevölkerung in Sorge ob der Epidemie sei. Wenn man so will, haben die Pfarrer eine Infektionskette gemeldet und hofften vielleicht sogar auf eine Reisewarnung, wie man heute sagen würde.  
 
In den Münchner Vorstädten jenseits der Isar, etwa in den heutigen Stadtteilen Au und Haidhausen, wütete die Seuche besonders grausam. Dort lebten die Menschen dicht gedrängt unter elenden hygienischen Zuständen. Die Priester beerdigten oft zwei Verstorbene gleichzeitig nebeneinander. Trotzdem hatten sie täglich bis in die Nacht hinein die Toten zu bestatten. Das Ordinariat erhielt deshalb von Geistlichen den Vorschlag, dass sie die Choleraopfer nur noch aussegnen und nicht mehr bei den Beerdigungen dabei sein müssen. 

Schutz und Dank 
 
Und auch wenn das 19. Jahrhundert die Epidemie nicht mehr vorrangig als Strafe Gottes, sondern bereits als bakteriologisches Problem erkannt hatte, richteten die Menschen ihre Hilferufe und ihren Dank weiter vor allem an Gott und die heilige Madonna. Roland Götz zieht noch eine farbige Lithografie aus den historischen Unterlagen des Diözesanarchivs hervor. Es zeigt den Dankgottesdienst auf dem Münchner Marienplatz am 3. Oktober 1854, nachdem die Choleraepidemie zum Erliegen gekommen war. Erst kurz zuvor hatte der Magistrat dem bisherigen Schrannenplatz im Herzen der Stadt diesen Namen gegeben, um sie der Patrona Bavariae und ihrem Schutz anzuvertrauen.  
 
Und in Haidhausen steht vor der alten Johann-Baptist-Kirche noch das sogenannte Cholerakreuz für die Toten dieser Epidemie. Die Gläubigen begehen dort bis heute jährlich eine Choleraprozession, um der historischen Seuche zu gedenken, die sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben hat. Nicht auszuschließen, dass in Zukunft ähnliche Dankprozessionen im Erzbistum hinzukommen, um die dramatischen Märztage 2020 und das Coronavirus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Als gläubige Geste, die daran erinnert, wie viele Menschen auch heute Gottes Liebe in Notlagen an ihren Nächsten weitergeben, Verantwortung wahrnehmen und zu helfen versuchen. 

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Corona - Pandemie