Dabei standen die Verantwortlichen nach dem Lockdown zunächst praktisch vor dem Nichts, als schlagartig der öffentliche Gottesdienstbetrieb dicht gemacht werden musste. Man fasste sich ein Herz – und machte sich dorthin auf, wo sich die Menschen trotz bestehender Kontaktverbote tummeln konnten: ins Internet.
Die Accounts bei Facebook, Twitter, Youtube & Co. schlummerten bislang vor sich hin, was eigentlich gar nicht zum tieferen Wesen der Institution passt. „Gehet hin und lehret alle Völker“, beauftragte Jesus die Jünger im Matthäus-Evangelium (28,19). Ergo brachte Paulus die Botschaft bis nach Rom, ins Zentrum der antiken Welt, von wo aus sie sich quasi viral verbreiten konnte. Man darf davon ausgehen: Heute würde der Apostel seine Message auch über soziale Medien bis in den letzten Winkel der Erde tragen.
Erzbistum entwickelte neue Formate
Im Corona-Frühjahr entwickelte das Erzbistum neben den gestreamten Messen weitere Formate. Der Videoimpuls „Mittwochsminuten“ erreichte wöchentlich um die 20.000 Zugriffe. Anfangs wurde er vom Kardinal und den Weihbischöfen bespielt, jetzt weitet sich der Kreis der Absenderinnen und Absender. Ebenso wurden etwa Text-Meditationen einer Ordensfrau aus dem Karmelitinnenkloster in Dachau als Serie auf Facebook angeboten oder aktuelle Auslegungen der Tageslesungen, welche Theologinnen und Theologen aus den verschiedensten Bereichen vornahmen, von der Krisenintervention bis zur Flughafenseelsorge.
Die digitale Kirche steht noch am Anfang, auch wenn es seit Jahren interessante Formate gibt. Auf der ganzen Welt beschreiten christliche Kirchen diesen Weg. Selbst kontemplative Gemeinschaften entschlossen sich, ihr Stundengebet aus der Klausur per Videostream hinaus in die Welt zu übertragen.
Sehnsucht nach Kommunion und Begegnung
Es gibt noch viel zu entdecken. Und viel zu diskutieren. Die Angst, dass die Angebote im Netz das Kultische und die Feier der Eucharistie verdrängen könnten, äußern manche. Sie ist unbegründet, denn die Sehnsucht der Menschen nach der Kommunion und nach persönlicher Begegnung im gemeinsamen Gottesdienst ist groß. Auch das hat die Corona-Krise gezeigt. Der Autor dieses Textes selbst kennt keinen gläubigen Katholiken, der sich wünschte, dass weitgehend auf Streams umgestellt wird. Aber das wollen die Befürworter einer digitalen Kirche ja gar nicht.
Vielmehr geht es um die Entfesselung von Möglichkeiten. Die Chance besteht darin, dass die digitalen Angebote zusätzliche Räume eröffnen können. Dass sich digitale und traditionelle Formen ergänzen, dass sie aufeinander verweisen. Die Digitalisierung der Verkündigung wird personelle und finanzielle Ressourcen erfordern, um die erforderliche Innovationskraft aufzubringen. Dass Vernetzung und Kooperation dabei helfen, machen in der Privatwirtschaft etwa mittelständische Zeitungsverlage vor.
Ein neuer Paulus begegnet im Netz ganz gewiss vielen Leuten, die nie den Weg in eine Pfarrei gefunden hätten. Und vielleicht kann er sie dort begeistern für eine Idee, welche den Menschen seit mehr als 2.000 Jahren den Weg zu ihrem Heil weisen will. (Bernhard Kellner, der Autor ist Leiter der Stabsstelle Kommunikation im Ordinariat und Herausgeber der Münchner Kirchenzeitung)