Vor Kolosseum in Rom

Papst betet Kreuzweg – Umstrittene Geste der Versöhnung

Erstmals seit zwei Jahren wieder beteten Tausende in Rom mit dem Papst den Kreuzweg vor dem Kolosseum. Ein eindrucksvolles und besinnliches Ereignis. Doch für Franziskus war es zugleich eine diplomatische Herausforderung.

Erstmals fand der traditionelle Kreuzweg mit dem Papst wieder vor dem römischen Kolosseum statt. © Cristian Gennari/Romano Siciliani/KNA

Das sind sie und tragen das schlichte, schwarze Kreuz. Gemeinsam. Irina und Albina. Eine scheinbar harmlose Geste. Aber nicht in dieser Zeit des Krieges: Irina ist Ukrainerin, Albina Russin. Sie leben in Rom, arbeiten in der Krankenpflege und sind befreundet. Doch angesichts der Gräuelbilder aus Mariupol, Butscha, Irpin und andernorts in der Ukraine, ist die gemeinsame Geste der beiden jungen Frauen beim Kreuzweg vor dem Kolosseum für viele ein Skandal. Zumal sie weltweit übertragen wird.

Vor allem aus der Ukraine gab es Kritik an einer solchen verfrühten Versöhnungsgeste. Aus Protest kündigten dort mehrere katholische Medien an, den Kreuzweg nicht wie sonst live aus Rom zu übertragen. Kiews Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk wurde mit den Worten zitiert: "Zuerst müssen wir aufhören, uns zu töten, dann können wir über nächste Schritte sprechen."

Erstmals seit zwei Jahren findet der traditionelle Kreuzweg mit dem Papst wieder vor dem römischen Kolosseum statt. Rund 10.000 Menschen sind gekommen, um mit Papst Franziskus das Leiden und Sterben von Jesus Christus zu bedenken und meditieren. Die Texte zu den 14. Kreuzwegstationen haben Familien verfasst. Familien in verschiedensten Lebenslagen: Migranten, Familien mit vielen oder keinen Kindern, mit Behinderung, verwitwete - und eben eine russische und eine ukrainische.

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Irina und Albina haben das Kreuz von einer Familie übernommen, die eine Tochter verloren hat. Jetzt sind die beiden Frauen an der 13. Station angelangt. "Im Angesicht des Todes sagt Stille mehr als Worte", trägt eine Sprecherin vor. "Bleiben wir also in betender Stille stehen und beten wir alle in unserem Herzen für den Frieden in der Welt." Doch das ist etwas anderes als das, was der Vatikan zuvor publiziert hatte.

Dort hatte es unter anderem geheißen: "Welchen Fehler haben wir begangen?", "Warum hast du unsere Völker im Stich gelassen?" Und "Herr, wo bist du? Sprich in der Stille des Todes und der Trennung und lehre uns, Frieden zu schließen, Brüder und Schwestern zu sein, wieder aufzubauen, was die Bomben zerstören wollten".

Der Theologe und Papst-Vertraute Antonio Spadaro hatte die Geste des gemeinsamen Tragens des Kreuzes in den vergangenen Tagen immer wieder verteidigt: "Skandalöserweise sind Irina und Albina Freundinnen, auch wenn die Welt sie als Feindinnen haben möchte", sagte er noch am Freitag dem privaten TV-Sender La7. Die beiden Frauen seien nur schweigend dabei.

Das Kreuz bleibt ein Skandal

"Sie sagen nichts, bitten nicht um Vergebung, halten keine Ansprache für Versöhnung, die verständlicherweise zu früh wären", so der Chefredakteur der Zeitschrift "Civilta Cattolica". Indem die beiden mit bloßen Händen ein nacktes Kreuz in den dunklen Himmel streckten, sei dies "ein Gebet, ein Schrei in der Finsternis". Wie solle sich ein Christ denn verhalten angesichts des christlichen Gebotes: "Liebet eure Feinde!"?, fragte der Theologe. Die christliche Botschaft wie auch das Kreuz, das am Karfreitag im Mittelpunkt steht, blieben ein Skandal.

Den Brauch, im Kolosseum zu Karfreitag den Kreuzweg zu beten, hatte Papst Paul VI. in den 1960er Jahren wieder eingeführt. Ab dem frühen Abend erleuchten Tausende Öllampen Fassade und Gewölbe der antiken Kampfarena. In dessen Gewölben werden die ersten fünf Stationen des Kreuzwegs gebetet, anschließend zieht die Prozession in Richtung des Forum Romanum. Auf dem Hügel vor dem früheren Venus-Tempel sitzt der Papst. Nachdenklich lauscht er dem, was junge Ehepaare, Kinderlose, Witwer erzählen. Von Familien mit einem Pflegefall, Adoptivkindern oder einem behinderten Kind, dessen Eltern sich gegen eine Abtreibung entschieden.

Familienjahr geht zu Ende

Familien als Verfasser der Kreuzwegmeditationen hatte sich Franziskus gewünscht, weil im Juni das von ihm ausgerufene "Amoris-laetitia-Familienjahr" zu Ende geht. Damit will er noch einmal die Anliegen seines gleichnamigen Schreibens zu Ehe und Familie von 2016 in Erinnerung rufen.

Bereits am Nachmittag hatte der vom Papst entsandte Kurienkardinal Konrad Krajewski im zerstörten Ort Borodjanka nordwestlich von Kiew den Kreuzweg gebetet. Dabei gingen er und der Päpstliche Botschafter in der Ukraine, Visvaldas Kulbokas, durch die Straßen der Stadt. Dort, wo noch unbestattete Tote lagen, sowie an einem Massengrab mit mindestens 80 unbekannten Toten, sprachen sie jeweils Gebete.

"Es gibt keine Tränen, keine Worte", wurde der Kardinal auf dem Rückweg nach Kiew zitiert. Gott sei Dank gebe es den Glauben. Vielleicht werde einst Gott "mit seiner Liebe alles erklären" und auch Bitterkeit und Leid verändern, so Krajewski. (Roland Juchem/kna)