Kardinal Michael von Faulhaber

Oberhirte in Krisenzeiten des 20. Jahrhunderts

War der langjährige Münchner Erzbischof Faulhaber ein rückwärtsgewandter Kirchenfürst von gestern? Für Philipp Gahn, der Faulhabers Tagebücher studiert hat, ist das Bild vom Reaktionär zu einseitig, weil es Wesentliches ausspart.

Kardinal Michael von Faulhaber © Erzbischöfliches Archiv München

München - „Faulhaber macht einen guten Eindruck, männlich und klug, allerdings reaktionär“, notierte Harry Graf Kessler über den Münchner Kardinal, den er bei einem Dinner in Rom im Februar 1922 anlässlich der Papstkrönung Pius XI. kennengelernt hatte. Wie ihn der Schriftsteller und Kunstmäzen damals sah, so schätzen Michael Kardinal von Faulhaber heute viele noch ein. Ein glänzend begabter, aber rückwärtsgewandter „Kirchenfürst“ von gestern.

Bischof über vier Krisenzeiten

Richtig ist: Verfolgt man die Lebensstationen vom 1869 geborenen Bäckersohn aus dem unterfränkischen Heidenfeld bis zum Musterschüler auf dem Gymnasium, vom einjährig-freiwilligen Soldaten bis zum Priesteramtskandidaten, vom Theologiestudenten bis zum Professor für alttestamentliche Exegese, vom jungen Kaplan bis zum gefeierten Prediger auf Katholikentagen, so erhält man überall den Eindruck, er sei für höhere Aufgaben prädestiniert.

Wenig überraschend war es darum, als der 41-jährige Straßburger Theologieprofessor im Jahr 1911 den vakant gewordenen Bischofsstuhl von Speyer einnahm. Ebenso folgerichtig schien es, als er nach dem Tod des Münchner Kardinals Franziskus von Bettinger diesen beerbte. In den vorangegangenen Jahren des Ersten Weltkriegs hatte er ihn bereits als Feldpropst vertreten. Am 3. September 1917 bestieg er die erzbischöfliche Kathedra von München und Freising. Bis zu seinem Tod am 12. Juni 1952 stand er der Erzdiözese über vier Krisenzeiten deutscher Geschichte hinweg vor: Dem Ende der Monarchie 1918, den Jahren der Weimarer Republik, der Diktatur des Naziregimes und nach dem Zweiten Weltkrieg dem Wiederaufbau und den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland.

Kontroverse Predigten

Als Graf Kessler Faulhaber begegnete, war diesem nur ein Jahr zuvor die Kardinalswürde zuteil geworden – den Anhängern der untergegangen Monarchie war das ein Anlass, um den Erzbischof wie einen Garanten der alten Ordnung zu feiern. Und in der Tat provozierte er nur wenige Monate später auf dem Katholikentag 1922 in München, als er die Revolution von 1918 als auf „Meineid und Hochverrat“ gegründet bezeichnete.

Aber das Bild vom Reaktionär ist einseitig und es spart Wesentliches aus. Einen ganz anderen Eindruck hinterließ er zum Beispiel im Oktober 1923 mit seinem Ausspruch, ein jedes Menschenleben sei kostbar, auch das eines „Israeliten“. In völkischen Kreisen handelte er sich damit jedenfalls dauerhaft den Ruf eines „Judenkardinals“ ein. Auch seine Befürwortung der internationalen Abrüstungsbemühungen und die Unterstützung des Friedensbundes Deutscher Katholiken passte sich nicht ein in die Gedankenwelt der alten Ordnung.

Treu seinem bischöflichen Wappenspruch vox temporis – vox Dei (Die Stimme der Zeit ist die Stimme Gottes), scheute er sich nicht mit seinen weithin gehört und gelesenen Predigten, Reden und Vorträgen in Kontroversen einzugreifen. Persönliche Gefahren für Leib und Leben nahm er dabei in Kauf. So etwa als er in seinen berühmten Predigten, die er zum Advent und Silvester 1933 in der Münchner St. Michaelskirche hielt, daran erinnerte „Wir sind nicht mit deutschem Blut erlöst. Wir sind mit dem kostbaren Blut unseres gekreuzigten Herrn erlöst“. Bald darauf fielen Schüsse auf das erzbischöfliche Palais.

Reisen nach Amerika

Das waren rhetorische Höhepunkte, die im kollektiven Gedächtnis bleiben. Doch überdecken sie das eigentliche bischöfliche Wirken. Bei aller Liebe zum geschliffenen Wort war Kardinal Faulhaber nämlich mehr an der praktischen Seelsorge ausgerichtet. Die Caritas etwa nahm unter ihm starken Aufschwung – ein Schwerpunkt, den die Not der Zeit diktierte. Darum machte er im Jahr 1923 eine große Amerikareise, um Hilfsgelder zu akquirieren, was ihm in erheblichem Maß gelang. Daneben knüpfte er dort wertvolle Kontakte, die er 1926 bei einer zweiten Reise in die USA vertiefte. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Amerikaner Bayern besetzten, war der Münchner Erzbischof einer ihrer ersten Ansprechpartner, der beraten und vermitteln konnte und Hilfsgüter verteilte. „We will do what we can do for you“, teilte man ihm gleich am 1. Mai 1945 respektvoll mit.

Förderung katholischer Frauen

Streng achtete er darauf, von keiner politischen Seite instrumentalisiert zu werden. So beschied er jemanden, der ihm kurz nach Kriegsende seine Pläne zur Wiedererrichtung der Monarchie in Bayern darlegte, kurzerhand: „Ich kann mich nicht mit politischen Fragen befassen. Ich habe für meine religiös-kirchlichen Aufgaben so viel zu tun: Kirchenbau, Volksernährung, Schulaufbau.“

Entschieden trat er für die Mitarbeit von Frauen in der Pastoral ein, sei es von Ordensfrauen, sei es von weltlichen Laien. Schon 1909 warb er an der Straßburger Universität gegen Widerstände im Professorenkollegium für das Frauenstudium. Als Bischof von Speyer setzte er sich für die Gründung der ersten Sozialen Frauenschule in Heidelberg ein; in München förderte er nach Kräften die heutige Katholische Stiftungshochschule. Seit seiner Gründung war er außerdem so etwas wie ein Spiritus rector des Katholischen Deutschen Frauenbundes, dem er mit Büchern und Vorträgen das diakonische Wirken der „biblischen Frauenwelt“ erschloss. Einem engeren Zirkel, der nach einem intensiveren geistlichen Leben strebte, ermöglichte er den Zusammenschluss zu geistlichen Gemeinschaften, die als Vorläufer der heutigen Säkularinstitute und geistlichen Bewegungen betrachtet werden müssen.

Darüber hinaus verdankt das Erzbistum Kardinal Faulhaber eine rege Bautätigkeit. In seiner langen Amtszeit entstanden nicht weniger als 109 Kirchenbauten, 66 Anstaltskapellen und nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges 20 Notkirchen.

Chronist seiner Zeit

Eine ganz andere Seite seines vielschichtigen Charakters vertraute er nur seinem Tagebuch an, das er von seinen Speyerer Bischofsjahren an bis zu seinem Tod in strenger Regelmäßigkeit führte. In 32 Einzelheften und vielen weiteren losen Blättern notierte der genaue Chronist seiner Zeit die vielen Alltäglichkeiten ebenso wie die Ereignisse der Münchner Räterevolution oder das Ausharren im Bombenkeller. Auch seine Zweifel, Ängste oder sein Zaudern werden darin sichtbar.

Wer sich für diese bis vor kurzem unsichtbare Seite des Erzbischofs interessiert, kann sie im Internet in der frei zugänglichen Kritischen Online-Edition der Tagebücher Kardinal Faulhabers näher studieren. Dem Leser begenet dabei ein Mann, den inmitten der Revolutionswirren von 1919 keine politische Agenda antreibt, sondern die schlichte Sehnsucht nach Ordnung und Frieden: „Wenn es Nacht wird und einzelne Schüsse in der Ferne fallen und die Ruhe wieder unheimlich über der Stadt brüht, dann versteht man die Worte, die den Abend als Zeit der seelischen Gedrücktheit nehmen: ad vesperum demorabitur fletus (am Abend kehrt Weinen ein) und komme morgen der Friede.“ (Philipp Gahn, der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts Faulhaber-Edition)

Podcast-Tipp

Der Tagebuchschreiber Kardinal Faulhaber

Über 4.000 Tagebuchseiten und Merknotizen in Gabelsbergerscher Kurzschrift hat er hinterlassen. In der normalen Langschrift wären es wohl 12.000. Kardinal Faulhaber war ein Kirchenmann in politischen bewegten Zeiten. In seiner Münchner Amtszeit von 1917 bis 1952 musste er mit vier völlig unterschiedlichen politischen Systemen zurechtgekommen: Der von ihm geschätzten Monarchie, der ersten deutschen Republik, dem NS-Unrechtsregime und der jungen Bundesrepublik.  Darum ist sein Tagebuch für die Geschichtsforschung eine herausragende Quelle. Ein Team um den Projektkoordinator und Historiker Peer Oliver Volkmann veröffentlicht in der Faulhaber-Edition dieses einzigartige Dokument online.

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