Familie

Norman Wolf hat seinen Vater gesucht und auf der Straße gefunden

Psychologe Norman Wolf hat gedacht, sein Vater ist tot. Mit Hilfe von Twitter hat er ihn gefunden. Er ist obdachlos und lebt in Hamburg.

Norman Wolf ist glücklich, endlich wieder einen Papa zu haben. Wenn auch anders, als erhofft. © SMB SMB

Wie es seinem Vater geht, weiß Norman Wolf meistens einigermaßen genau: „Er war gerade im Krankenhaus. Da konnte er sich ein bisschen erholen und wurde aufgepäppelt. Jetzt trägt er eine Beinschiene und hat einen Rollator. Aber es geht ihm den Umständen entsprechend gut und es tut gut, ihn mal wieder rasiert zu sehen.“ Das zu wissen war jahrelang nicht selbstverständlich für den 26-jährigen Psychologen und Buchautor.

Als er 12 Jahre alt war, war sein Vater zu Hause ausgezogen. Damals war der Papa schon alkoholkrank und das war auch der Grund, weshalb seine Frau sich von ihm getrennt hatte. Dabei war Klaus Wolf anfangs ein guter Vater gewesen, der mit seinen beiden Söhnen herumtobte und zum Angeln ging. Als der Dachdecker seinen Job verlor, ging die Spirale immer weiter abwärts.

Endlich kam die Familie zur Ruhe

Eine Geschichte hat Norman noch heute vor Augen: Wie der Vater eines Nachts am Fuß der Treppe lag. Norman wollte ihm helfen, aber er hat den großen, starken Mann nicht tragen können. Der Mutter sollte er nichts sagen, denn sonst hätte es wieder Ärger gegeben. Eine schreckliche Zwickmühle für den kleinen Jungen.

Nachdem der Vater ausgezogen war, kam die Familie einigermaßen zur Ruhe. Über den Vater wurde nicht geredet, außer, wenn beispielsweise seine Unterschrift auf irgendeinem Formular nötig gewesen wäre. Weil die Familie diese nicht besorgen konnte, kam es regelmäßig zu bürokratischen Komplikationen. Zwei Mal hat Norman noch mit seinem Vater telefoniert: an seinem 14. und an seinem 16. Geburtstag. Der Junge wusste, dass der Vater auf der Straße gelandet war. Aber nachdem er jahrelang nichts gehört hatte, dachte er, sein Papa sei tot.

Ein Unbekannter schickt ein Foto

Derweil hat die Mutter alles getan, um die Familie alleine durchzubringen. Trotz aller Schwierigkeiten machte Norman Abitur und hat Psychologie studiert. Nach dem Bachelor wollte er sich eine Auszeit als Au-Pair in den USA nehmen. Kurz bevor es losgehen sollte, bekam er plötzlich von einem Unbekannten ein Foto per Whats-App, dass seinen Vater zeigte: älter, mit Bart, sehr ausgezehrt, aber eindeutig Normans Vater. Der Mann, der das Foto aufgenommen hatte, schrieb, dass der Vater in Hamburg lebe und überall nach seinen Kindern gefragt habe. Über Umwege fand der Kontaktmann Normans Handynummer heraus.

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Der inzwischen 24-Jährige war völlig verstört: Er hat mit seinem Bruder und seiner Mutter darüber geredet, was sie tun sollten. Sie baten den Schreiber, er solle dem Vater ein Prepaid-Handy kaufen, damit sie mit dem Vater reden können. Das Geld würden sie ihm überweisen. Doch irgendwie riss der Kontakt ab. Norman überlegte hin und her. Sollte er nach all der Zeit und all den Enttäuschungen der letzten Jahre alles stehen und liegen lassen, um seinen Vater in Hamburg auf der Straße zu suchen? Er beschloss, trotzdem in die USA zu gehen: „Ich wollte in meinem Leben nicht wieder die Pause-Taste drücken, weil etwas mit meinem Vater ist und mich davon abhält, mein Leben zu leben“.

Wiedersehen dank Twitter

Dann kam Weihnachten. Er feierte mit seiner Gastfamilie. Aber als er abends auf seinem Zimmer saß, dachte er doch an seinen Vater. „Er hatte versucht, mich zu finden.“ Zu der Zeit hatte Norman Wolf schon sein Twitter-Account „Dein Therapeut“, auf dem er heute mehr als 44.000 Follower hat. Dort stellte er das Foto ein und fragte, ob jemand seinen Vater kenne. „Es war überwältigend: schon in der ersten Nacht wurde der Tweed 6000 Mal geteilt.“ Und tatsächlich hatten Leute „den Klaus“ erkannt und ermöglichten ein Telefonat. „Da war tatsächlich mein Papa am Telefon. Und er redete noch immer genauso, wie damals“. Norman erzählte ihm, dass er als Kindermädchen in den USA arbeitet und sein Vater sagte: „Ich bin stolz auf dich!“

Er flog nach Hause und fuhr mit seiner besten Freundin nach Hamburg. In einer Sparkassenfiliale fanden die beiden den Vater. Er schlief im Vorraum, eingehüllt in einen Schlafsack – und sah aus wie ein echter Obdachloser. Nicht wie der Papa. Norman musste sich überwinden, ihn wachzurütteln. Als er wach war, redeten die beiden lange. Eines Tages wieder „Papa“ sagen zu können – das hatte der junge Mann sich nicht träumen lassen.

Happy End mit Schönheitsfehlern

Doch er bemerkte auch, wie sehr der Alkohol seinen Vater zerstört hatte. Ständig vergaß er Dinge. Natürlich hat der Sohn versucht, seinen Vater von der Straße zu holen. Doch der weigert sich. Damit muss Norman jetzt leben. Er hat wieder einen Papa. Aber so ein richtiges Happy-End hat die Geschichte nicht.

Inzwischen hat Norman Wolf seine Geschichte in einem Buch niedergeschrieben. „Ich habe es geschrieben, damit möglichst viele Menschen verstehen, dass jeder Obdachlose, den sie auf der Straße sehen, eine Geschichte hat. So wie mein Papa“.

Ein langes Interview mit dem Autor können Sie ab dem 30.12. in unserem Podcast „Hauptsache Mensch“ hören

Die Autorin
Brigitte Strauß-Richters
Radio-Redaktion
b.strauss-richters@michaelsbund.de

Buchtipps

Norman Wolf: Die Fische schlafen noch. Wie ich meinen Papa an den Alkohol verlor und ihn auf der Straße wiederfand.

In dieser aufwühlenden Geschichte über die Suche nach dem verlorenen Vater stellt sich Norman seiner Vergangenheit und erzählt, wie das Familienglück langsam zerbrach. Und wie heilsam es ist, endlich über diesen Verlust zu sprechen.

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