60. Jubiläum

Neues Buch zum Zweiten Vatikanischen Konzil

Am 11. Oktober 1962 begann das Zweite Vatikanische Konzil. Der Münchner Jesuit und Autor Andreas R. Batlogg spricht im Interview über die Bedeutung des größten Ereignisses der Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert.

So kündigte die Münchner Kirchenzeitung in ihrer Ausgabe vom 7. Oktober 1962 den Beginn des Konzils am 11. Oktober an. © SMB/Ertl

mk online: Ihr Mitbruder, Pater Wolfgang Seibel SJ, der Nestor des katholischen Journalismus hierzulande, hat für Ihr Buch ein sehr persönliches Geleitwort verfasst. Er bekennt darin: „Mittlerweile schaue ich auf 94 Lebensjahre zurück. Kein anderes Ereignis hat mein Leben mehr geprägt als dieses Konzil.“ Sie sind 60, ich 50 Jahre alt. Wir beide haben das Zweite Vatikanische Konzil nicht mehr aktiv miterlebt. Können „Nachgeborene“ die große Erwartung und Begeisterung von damals nachempfinden oder nachvollziehen?

Pater Andreas R. Batlogg: Die Stimmung habe ich natürlich so nicht mitbekommen, vor allem auch nicht die Enge vor dem Konzil – weder theologisch noch liturgisch noch pastoral. Aber den Aufbruch habe ich sehr wohl noch miterlebt, vor allem auch, weil ich in eine Pfarrei hineingeboren wurde, die während des Konzils aufgebaut wurde. Als Student entdeckte ich dann im Lauf meines Theologiestudiums, welche Spannungen und Verwerfungen es gab, die direkt oder indirekt mit dem Konzil zu tun hatten. Diese haben im Lauf der vergangenen Jahrzehnte zugenommen. Namen wie Johannes Paul II., Küng und Boff seien hier stellvertretend genannt.

Und dann ist natürlich auch interessanterweise ein ehemaliger sehr aufgeschlossener Konzilstheologe später Kurienkardinal und auch Papst geworden, Benedikt XVI. Er war in einer ganz besonderen Rolle und hat mit der Frage nach Kontinuität/Diskontinuität, Bruch oder lückenloser Traditionskette eine Debatte eher akademischer Art aufgeworfen.

Der Blick aufs Konzil polarisiert somit bis heute, ist oft ideologisch gefärbt. Warum ist das so?

Pater Batlogg: Es gibt sogar eine jüngere Generation von Priestern, die älteren Priestern vorwirft: „Ihr seid durch das Konzil verseucht!“ Da merkt man schon am Tonfall, wie polemisch das ist. Dabei sollte man besser auf den Ursprung schauen: Johannes XXIII. wollte ein Pastoralkonzil, also ein Konzil, das keine Verurteilungen ausspricht und quasi mit dem theologischen Rasenmäher Kahlschlag betreibt, sondern das mit der Zeit ins Gespräch kommt. Sein Programmwort dafür war „Aggiornamento“.

Die jetzige Stimmung gegen das Konzil hat nichts mit dem Konzil im Eigentlichen zu tun, die meisten Texte hatten über 90 Prozent Zustimmung. Wir aber lesen das Konzil heute oft von den jetzigen Spannungen und Verwerfungen her, von den Piusbrüdern, dem Schisma mit Levebre, den Petrusbrüdern.

Sehr bald fällt bei Ihnen auch das Wort vom „Erbe des Konzils“. Was sind aus Ihrer Sicht einige der wichtigsten Erbstücke?

Pater Batlogg: Eine Kirche, die sich als pilgerndes Volk Gottes versteht. Eine Kirche, die im Dialog mit anderen Religionen steht. Gewissensfreiheit. Eine ökumenische Kirche. Eine dialogische Kirche. Und eine Kirche, die sich auch in der Liturgie anders ausdrückt, als sie es zuvor getan hat. Liturgie als Feiergeschehen und nicht als Staatsaktion. Die Muttersprache ist hierbei eine Anwendung.

Am Mittwoch, 19. Oktober, stellt Autor Andreas R. Batlogg zusammen mit Annette Schavan, ehemalige Bundesministerin und ehemalige Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl, um 19.30 Uhr im Forum der Jesuiten in München (Maxburgstraße 1) das Buch vor. Es moderiert Wolfgang Küpper. Der Eintritt ist frei.

Für den größten Teil unserer Gesellschaft ist Kirche nur mehr ein Randphänomen. Die meisten kennen weder die Inhalte noch die Probleme der Konzilstexte. Wird das Konzil somit in Zukunft hierzulande lediglich ein Thema für Jahrestage oder Akademietagungen sein?

Pater Batlogg: Für viele ist das Zweite Vatikanische Konzil so weit weg wie das Reformkonzil von Trient (1545 – 1563) oder das Erste Vatikanum (1869/70) – ferne Vergangenheit, Kirchengeschichte. Die Gefahr der Musealisierung besteht immer. Das wäre aber schade. Es ist das größte Ereignis der Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert und hat die Kirche wirklich einen Sprung nach vorne gebracht. Nicht umsonst wurde damals von einem „neuen Pfingsten“, einem „neuen Frühling“ in der Kirche gesprochen.

Meiner Ansicht nach hat das Konzil einiges des Ersten Vatikanums um 180 Grad umgedreht. Mein Anliegen ist es daher, nicht nur wehmütig oder nostalgisch zurückzuschauen, sondern mich auch zu fragen: „Kenne ich diese Texte? Lese ich diese Texte? Studiere ich diese Texte?“ Erstaunlicherweise lesen die einen ja oft dieses und die anderen das glatte Gegenteil aus manchen Texten heraus, was ja auch die schon angesprochene Debatte um Kontinuität und Diskontinuität anzeigt. Aus meiner Sicht gibt es noch viel ungehobenes Potenzial.

Welche Rolle fällt Papst Franziskus Ihrer Ansicht nach heute zu, wenn es um das Konzil geht? 

Pater Batlogg: Ich würde ihn als Kind des Konzils bezeichnen, weil er erst während des Konzils studiert hat und nach dem Konzil, 1969, geweiht wurde. Als Pontifex maximus ist er natürlich auch so etwas wie ein Wächter des Konzils. Synodalität, eines seiner Lieblingsthemen, ist ein direktes Erbe dieses Konzils, das er nun der ganzen Kirche mit dem zweijährigen synodalen Projekt vorgeschrieben und dafür sogar eine Weltbischofssynode um ein Jahr verschoben hat.

Stichwort Synodalität: Der Synodale Weg offenbart die Zerrissenheit der Kirche in unserem Land, die Lager der Bewahrer und Reformer prallen aufeinander. Könnte hier eine Rückbesinnung auf das Konzil einen Impuls zur Wende geben? War dieses doch, wie Sie schreiben, „der groß angelegte Versuch, die Taufe aller ernst zu nehmen und eine Kirche des pilgernden Volkes Gottes zu skizzieren“.

Pater Batlogg: Sie hatten Pater Seibel angesprochen. Von ihm habe ich mir oft erzählen lassen, was das damals für ein Kommunikationsvorgang war, was für eine Gesprächs- und Streitkultur damals herrschte. Was wir im Vergleich dazu heute erleben an Verketzerung, Anschuldigungen und Unterstellungen, ist schrecklich. Da könnten wir wirklich vom Konzil lernen. Es geht um eine faire Debattenkultur und darum, von der Position „Ich allein habe die Wahrheit“ wegzukommen. Wahrheit entsteht auch im Gespräch. Es geht nur miteinander. Und damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt des Zweiten Vatikanums, dem „pilgernden Gottesvolk“, dem es um das Heil der Menschen geht und nicht um theologisches Fingerhakeln.

Sehen Sie in der Zukunft ein Drittes Vatikanisches Konzil oder würden Sie eher dafür plädieren, Beschlüsse und Anstöße des Zweiten ins Heute zu transportieren und zu verwirklichen, im Sinne von Karl Rahner, der sagte: „Es wird lange dauern, bis die Kirche, der ein Zweites Vatikanisches Konzil von Gott geschenkt wurde, die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils sein wird“?

Pater Batlogg: Ich glaube, mit einem Dritten Vatikanischen Konzil sollten wir noch warten und vielmehr genau hinschauen: Was ermöglicht das Zweite Vatikanum und was ist davon umgesetzt? (Interview: Florian Ertl, stellv. MK-Chefredakteur)

Buchtipp

Aus dem Konzil geboren

Für die einen liegt das II. Vatikanische Konzil, das am 11. Oktober 1962 eröffnet wurde, bereits in einer fernen Vergangenheit. Andere wiederum sprechen von einem "unerledigten" Konzil und wieder andere meinen, dass es ein "neues Konzil" braucht. Spielt, was über viereinhalbtausend Bischöfe damals auf den Weg gebracht haben, noch eine Rolle? Hilft es bei der Bewältigung aktueller Probleme?

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Der Autor
Florian Ertl
Münchner Kirchenzeitung
f.ertl@michaelsbund.de