mk online: Ihr Mitbruder, Pater Wolfgang Seibel SJ, der Nestor des katholischen Journalismus hierzulande, hat für Ihr Buch ein sehr persönliches Geleitwort verfasst. Er bekennt darin: „Mittlerweile schaue ich auf 94 Lebensjahre zurück. Kein anderes Ereignis hat mein Leben mehr geprägt als dieses Konzil.“ Sie sind 60, ich 50 Jahre alt. Wir beide haben das Zweite Vatikanische Konzil nicht mehr aktiv miterlebt. Können „Nachgeborene“ die große Erwartung und Begeisterung von damals nachempfinden oder nachvollziehen?
Pater Andreas R. Batlogg: Die Stimmung habe ich natürlich so nicht mitbekommen, vor allem auch nicht die Enge vor dem Konzil – weder theologisch noch liturgisch noch pastoral. Aber den Aufbruch habe ich sehr wohl noch miterlebt, vor allem auch, weil ich in eine Pfarrei hineingeboren wurde, die während des Konzils aufgebaut wurde. Als Student entdeckte ich dann im Lauf meines Theologiestudiums, welche Spannungen und Verwerfungen es gab, die direkt oder indirekt mit dem Konzil zu tun hatten. Diese haben im Lauf der vergangenen Jahrzehnte zugenommen. Namen wie Johannes Paul II., Küng und Boff seien hier stellvertretend genannt.
Und dann ist natürlich auch interessanterweise ein ehemaliger sehr aufgeschlossener Konzilstheologe später Kurienkardinal und auch Papst geworden, Benedikt XVI. Er war in einer ganz besonderen Rolle und hat mit der Frage nach Kontinuität/Diskontinuität, Bruch oder lückenloser Traditionskette eine Debatte eher akademischer Art aufgeworfen.
Der Blick aufs Konzil polarisiert somit bis heute, ist oft ideologisch gefärbt. Warum ist das so?
Pater Batlogg: Es gibt sogar eine jüngere Generation von Priestern, die älteren Priestern vorwirft: „Ihr seid durch das Konzil verseucht!“ Da merkt man schon am Tonfall, wie polemisch das ist. Dabei sollte man besser auf den Ursprung schauen: Johannes XXIII. wollte ein Pastoralkonzil, also ein Konzil, das keine Verurteilungen ausspricht und quasi mit dem theologischen Rasenmäher Kahlschlag betreibt, sondern das mit der Zeit ins Gespräch kommt. Sein Programmwort dafür war „Aggiornamento“.
Die jetzige Stimmung gegen das Konzil hat nichts mit dem Konzil im Eigentlichen zu tun, die meisten Texte hatten über 90 Prozent Zustimmung. Wir aber lesen das Konzil heute oft von den jetzigen Spannungen und Verwerfungen her, von den Piusbrüdern, dem Schisma mit Levebre, den Petrusbrüdern.
Sehr bald fällt bei Ihnen auch das Wort vom „Erbe des Konzils“. Was sind aus Ihrer Sicht einige der wichtigsten Erbstücke?
Pater Batlogg: Eine Kirche, die sich als pilgerndes Volk Gottes versteht. Eine Kirche, die im Dialog mit anderen Religionen steht. Gewissensfreiheit. Eine ökumenische Kirche. Eine dialogische Kirche. Und eine Kirche, die sich auch in der Liturgie anders ausdrückt, als sie es zuvor getan hat. Liturgie als Feiergeschehen und nicht als Staatsaktion. Die Muttersprache ist hierbei eine Anwendung.