Meinung
Filmkritik "Verteidiger des Glaubens"

Neuer Dokumentarfilm über Benedikt XVI.

Ab Donnerstag läuft in den Münchner Kinos ein Film über Papst Benedikt XVI. Dieser spart nicht mit Kritik und zeichnet kein objektives, aber deshalb nicht minder sehenswertes Bild des emeritierten Papstes.

Christoph Röhl hat einen streitbaren Film über einen streitbaren Mann gedreht: Benedikt XVI. © EOM Erzbischöfliches Ordinariat München

Christoph Röhl hat eigene Erfahrungen beim Thema Missbrauch sammeln müssen. Von 1989 bis 1991 war er Englisch-Tutor an der Odenwaldschule, an der es mindestens 200 Missbrauchsfälle gab. Das Thema hat ihn in seinem gesamten Wirken als Filmemacher begleitet. In der Doku „Und wir sind nicht die Einzigen“ und in dem preisgekrönten Drama „Die Auserwählten“ hat er sehr erfolgreich versucht, zu zeigen, wie Systeme von Missbrauch entstehen konnten. Jetzt hat er mit dem Dokumentarfilm „Verteidiger des Glaubens“ ein größeres Ziel vor Augen: Die katholische Kirche vor allem unter Papst Benedikt, beziehungsweise unter dem Kardinalpräfekten der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger.

Wirkmächtige Kritik

Mehr oder weniger chronologisch erzählt der Film mit Interviews und Originalaufnahmen vom Wirken – weniger vom Leben – Joseph Ratzingers. Die ersten Bilder nach einem kurzen Vorspann zeigen ihn wie er als junger Mann den ehemaligen Kölner Kardinal Frings zum zweiten Vatikanischen Konzil begleitet, wie er Vorlesungen hält und seine erste Zeit als Bischof in München. Fahrt nimmt der Film auf, sobald Joseph Ratzinger Generalpräfekt der Glaubenskongregation wird. Der Umgang mit Marcial Maciel, dem Gründer der Legionäre Christi, der Minderjährige missbraucht hat, wird thematisiert und schließlich die Aufdeckung des Missbrauchsskandals in den USA und Irland.

Röhl hat für seinen Film keinen einzigen Atheisten oder Gegner der Kirche gesprochen, sondern mit ihren Mitgliedern. Priester, Bischöfe und Kardinäle kommen zu Wort. Manche stehen sehr kritisch zum Vatikan, wie der Theologe und Freund der Familie Ratzinger Wolfgang Beinert, der Jesuit Klaus Mertes oder Tony Flannery, der vom Vatikan wegen Aussagen für das Diakonat der Frau suspendiert wurde. Dieser Kniff – nicht Außenstehende, sondern eben Kleriker zu Wort kommen zu lassen – sorgt dafür, dass Röhls Kritik viel wirkmächtiger ist. Das ist zwar effektiv, aber nicht immer fair. Georg Gänswein etwa, Privatsekretär Benedikts, gibt nur Floskeln von sich.

Systeme von Machtmissbrauch und Unterdrückung

Auch nicht fair ist der starke Fokus auf Orden wie die Legionäre Christi oder „das Werk“. Richtig ist zwar, dass diese unter Ratzinger an Bedeutung gewannen, aber sie sind immer noch eine kleine Minderheit in der katholischen Kirche. Die Bilder von Auftritten der Legionäre Christi sind erschreckend. Sie wirken sektenartig und fundamentalistisch. Und sie stehen in starkem Kontrast zu den ruhigen, aufgeräumten Bildern der Interviews.

Dabei bemüht sich Röhl immer wieder Joseph Ratzinger näher zu kommen und das funktioniert auch sehr gut. So schafft der Film es, über Ratzingers Verständnis von Familie Einblicke in sein Denken zu bekommen, die gar nicht so tief theologisch sind, sondern ganz nah und ganz menschlich. Röhl ändert auch seine eigene Haltung im Verlauf des Films spürbar. Anfangs ist viel Antipathie im Spiel und später ist es eher Mitleid, wenn vor allem Wolfgang Beinert über Benedikts Scheitern spricht. Röhl lässt sich in Bezug auf Benedikt dennoch nicht auf Gänsweins Bild des einsamen, gottergebenen Mannes ein. Zu viel ging es vorher um Macht, Machtmissbrauch und Systeme von Überwachung und Unterdrückung. Auch bei Joseph Ratzinger selbst.

Vertuschungsversuche auf allen Ebenen

Joseph Ratzingers theologisches und politisches Denken darzustellen gelingt dem Film eher weniger. Er konzentriert sich dabei auf den Begriff der „Diktatur des Relativismus“. Ein sicherlich zentraler Aspekt, aber er greift zu kurz, um ein ernsthaftes Verständnis der Theologie Ratzingers zu entwickeln. Doch in ihm lässt sich ganz klar die Botschaft des Films unterbringen: In einer demokratischen Gesellschaft, die Pluralismus, Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten als Teil ihrer Identität begreift, kann eine Institution, die die absolute Wahrheit beansprucht, nur scheitern.

Stärker wird die Kritik sobald es um den Anfang des Missbrauchsskandals geht. Als die ersten Fälle in den USA und dann in Irland ans Tageslicht kommen. Auch ein Missbrauchsopfer kommt zu Wort und zeigt in einer der stärksten Interviewpassagen des Films in nur drei Sätzen, was alles im Vatikan falsch gelaufen ist. Erschreckend sind die alten Interviews mit irischen Bischöfen, die Vertuschungsversuche auf allen Ebenen entlarven und wie unsensibel die Verantwortlichen reagiert haben. Als Zuschauer sitzt man beschämt im Kinosessel, wenn man einige der Aussagen dort hört, die das Amt höher bewerten als das Individuum, die sich nicht um die Opfer sorgen, sondern das Image der Kirche.

Eine autoritäre Kirche muss scheitern

An einem guten Kommentar kann man sich reiben, heißt es bei Journalisten immer. An diesem Film kann man das auch. Christoph Röhl hat einen streitbaren Film über einen streitbaren Mann gedreht. Er hat das mit einer klaren, überhaupt nicht versteckten Intention gemacht und gute Argumente für seine These, dass eine autoritäre Kirche mit einem absoluten Wahrheitsanspruch scheitern müsse, geliefert. Deswegen ist der Film keine Sekunde zu lang und ausgesprochen sehenswert.

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Kirche und Missbrauch