„Ende des 19. Jahrhunderts ist mit der Industrialisierung das Gefühl aufgekommen, dass die Heimat bedroht ist und man sie bewahren muss“, erklärt Kürzeder. Das hat zu entsprechenden Beschwörungen in Kunst und Kultur geführt. Kürzeder deutet auf das Doppelbildnis mit zwei knorrigen Bauernköpfen, die der Münchner Künstler Ernst Liebermann in Jugendstil-Manier gemalt hat. Dabei waren die beiden Porträtierten bei der Eisenbahn angestellt und lebten schon lange nicht mehr von der idealisierten Scholle.
In einer Vitrine sind Bauzeitschriften und Modelle zu sehen, die für eine „landschaftsgerechte“ Architektur werben, den sogenannten Heimatstil. Erbittert wurde er gegen das sachliche Bauhaus gestellt. Mit industriell hergestelltem Fensterglas, Elektro- und Kanalanschluss wurde aber hier wie dort gebaut. Mögen solche Auseinandersetzungen heute kaum noch eine Rolle spielen, um den Heimatbegriff wird seit einigen Jahren wieder heftig gerungen. „Das hat Konjunktur und ist zurzeit ein großes gesamtgesellschaftliches Thema.“ Darum wollten es Kürzeder und seine Mitarbeiter aufgreifen. „Auch in Hinblick auf dieses Kloster, wo ja Ordensleute lebten, die sich eigentlich gesagt haben: Mit Heimat haben wir nichts mehr am Hut, weil wir sind unterwegs zu einer ewigen Heimat.“
Denn die Ordensbrüder und später die Nonnen, die
hier lebten, haben ihr Zuhause bewusst verlassen, sich von ihrer
vertrauten Umgebung abgewendet, um sich Gott zu widmen. Ein altes
barockes Bild, der „Apostelabschied“, zeigt diese Geisteshaltung. Darauf
sind die Jünger Jesu zu sehen, die sichtlich bewegt Abschied
voneinander nehmen und in die verschiedenen Himmelsrichtungen ziehen, um
das Evangelium zu verkünden.
Nachhaltigkeit gehört zu Heimat dazu
Gleichzeitig erzeugt dieser Zug ins Weite eine Spannung, wenn Ordensleute sich fest an ein Kloster binden, wie das in Beuerberg der Fall war. Dann beginnen Ordensleute, die sich von der Welt abwendeten, die sie umgebende Landschaft zu verändern und für die nachfolgenden Generationen zur Heimat zu gestalten. Rund um Beuerberg sind heute noch Weiher und Alleen zu finden, die vor rund 250 Jahren von den hier lebenden Augustiner-Chorherren angelegt wurden. „Langfristig und nicht wie heute für einen möglichst schnellen Gewinn“, betont Kürzeder.
Und es ist vielleicht doch dieser Gedanke der Nachhaltigkeit, der unabdingbar zum Heimatbegriff gehört, die Entwicklung und nicht der gierige Verbrauch der Natur. „Schließlich fängt das Heil der Menschen ja hier auf der Erde, in der von ihm modellierten Landschaft an“, betont Kürzeder. Und die ist letztlich ein Geschenk Gottes. Religion und besonders der oberbayerische Katholizismus sind deshalb auch mit der Dankbarkeit für die Schöpfung Gottes verbunden.
Das drückt sich bis heute in den
Fronleichnamsprozessionen aus, wo es die Gläubigen hinaus ins Freie
drängt. Selbst streng abgeschieden lebende Klausurschwestern wie die
Salesianerinnen von Zangberg haben dieses Fest groß und prächtig
gefeiert. Um einen prächtigen Prozessionshimmel und Messgewänder
herstellen zu können, haben sie im Klostergarten eigens Maulbeerbäume
gepflanzt und dort Seidenraupen gezüchtet. Die Cocons haben die
Ordensfrauen dann von Fachbetrieben in Italien zu Textilien verarbeiten
lassen und die Stoffe danach eigenhändig bestickt und bemalt. „Und das
nur für einen Tag im Jahr“, ruft Kürzeder aus. Schon allein diese
kunstvollen Paramente seien einen Besuch in Beuerberg wert.
Kirchenfeste wie Fronleichnam haben die Katholiken in Oberbayern auch gerne als Modell genommen, um sich die ewige Heimat im Himmel vorzustellen: Als endlosen, glückseligen Feiertag in seliger Gemeinschaft mit den Heiligen und den im Tod vorausgegangenen Angehörigen. Gleich hinter dem im ehemaligen Nonnenchor präsentierten Prozessionshimmel zeigt die Ausstellung Ausschnitte aus dem „Brandner Kaspar“. Der Filmklassiker zeigt eine gesuchte und geliebte Heimat auf Erden und im Jenseits. Kürzeder hat aber auch eigene Videos für die Schau in Kloster Beuerberg drehen lassen. In einem schildert eine Familie aus Afghanistan, die jetzt in Beuerberg eine Bleibe gefunden hat, ihre Flucht aus der Heimat.
Wurzeln und Traditionen pflegen
In einem anderen Filminterview erzählen drei etwa 80-jährige Frauen von ihrer Vertreibung aus Ungarn. Viele der dort seit Generationen ansässigen Deutschen mussten ihre Heimat verlassen. Die drei Frauen stammen aus Pusztavám und erlitten die Vertreibung als Kinder. In der Ausstellung sind sehr persönliche Gegenstände zu sehen, die sie an diese Zeit erinnern. „Leise Objekte“, nennt sie Kürzeder. Dinge, die vor dem Abtransport in Viehwaggons noch schnell eingepackt wurden: das Kruzifix aus der guten Stube, ein Puppenbettchen, Kochgeschirr oder Handwerkszeug, darunter sogar ein Amboss. Sie erinnern zum einen an eine verlorene Heimat, zum anderen aber auch daran, dass die Vertriebenen in der Fremde eine neue Heimat aufbauen und finden mussten.
Viele Pusztavámer haben sie in Geretsried gefunden und dort weiter ihre Wurzeln und Traditionen gepflegt. Kürzeder erkennt darin den Kern für die gesamte Ausstellung: „Heimat ist nicht nur ein fester Ort, sondern ein menschliches Bedürfnis, das immer wieder an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Menschen Wirklichkeit wird.“ Das „Eigene zu kennen“ und das „sogenannte Fremde“ erleben, kennenlernen und aufnehmen zu wollen, sei dafür die Voraussetzung.
Umfangreiches Begleitprogramm
Das will auch das Begleitprogramm zeigen, für das Johanna Eder zuständig ist. Mehr als 60 Seiten umfasst das Veranstaltungsheft. Nächtliche Märchenwanderungen sind genauso dabei wie die Bestimmung einheimischer und eingewanderter Pflanzen, ein Stickereikurs, Kabarett- und Filmabende. Heimat geht aber auch durch den Magen. Darum kochen vertriebene Ungarndeutsche ein Gulasch über offenem Feuer und es gibt es eine „Knödelbegegnung“. „Als wir für die Ausstellung nach typisch Bayerischem und Klischees geforscht haben, sind wir auch auf Knödel gestoßen“, erklärt die Kunstpädagogin, „die sind aber nicht nur hier, sondern fast weltweit zu finden.“ Deshalb hat sie eine türkischstämmige Künstlerin eingeladen, Knödel nach anatolischen Rezepten zu kochen, die zum Verkosten bestimmt sind. Außerdem erhält die Bayerische Staatsregierung ein paar Tage lang Konkurrenz: Kinder und Jugendliche dürfen in Beuerberg in den Sommerferien ein Planspiel durchführen und ein eigenes Heimatministerium einrichten. „Sie werden sich Gedanken machen, was denn Heimat ist und wie sie diese Heimat gerne hätten.“
Dazu lädt die Ausstellung auch jeden Besucher ein. Bis Anfang November ist dazu Gelegenheit.
Die Ausstellung „Heimat: Gesucht. Geliebt, Verloren“ ist bis Sonntag, 3. November, jeweils von Mittwoch bis Sonntag sowie an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 6 Euro, ermäßigt 4 Euro, eine Dauerkarte ist für 15 Euro erhältlich. Im Preis ist auch der Besuch der Sonderausstellung im Gartenpavillon von Kloster Beuerberg enthalten. Dort werden bis Sonntag, 30. Juni, Skulpturen von Gabriela von Habsburg gezeigt. Im ehemaligen Speisesaal der Salesianerinnen bietet das Restaurant „Die Klosterküche“ heimatnahe Gerichte an.