Ungewöhnlicher Nähtreff

Nähen für Sternchen und Frühchen

Für Frühchen gibt es kaum passende Anziehsachen. Deshalb nähen Ehrenamtliche in Waldkraiburg den Kleinsten Hosen, Jäckchen und Co. Aber wegen Corona haben sie die Produktion umgestellt.

V.l.: Martina Bojert, Sandra Akyildiz, v.r.: Tanja Wettstädt, Michelle Trutzel und Andrea Brennhuber © Huckemeyer

Waldkraiburg – Bunte Stoffe mit lustigen Mustern, glitzernde Perlen und farbige Wollknäuel liegen auf den Tischen im Pfarrsaal der Pfarrei Christkönig (Dekanat Waldkraiburg). Fünf junge Frauen packen Nähmaschinen und Strickzeug aus. Eigentlich kommt da eine fröhliche Runde zusammen, aber der Hintergrund des Treffens gilt einer ernsten Angelegenheit. Die Damen aus Ampfing und Umgebung gehören zum bundesweit agierenden Verein „Herzenssache – Nähen für Sternchen und Frühchen e. V.“ Weil die Industrie kaum passende Kleidung für ganz kleine Menschen herstellt, machte es sich der Verein zur Aufgabe, für Frühchen winzige bunte Strampler, Hosen, Jäckchen, Socken, Mützchen und anderes mehr zu entwerfen.

„Wir wollen einfach Farbtupfer in den Klinikalltag bringen“, betont Andrea Brunnhuber, regionale Ansprechpartnerin und Leiterin des Waldkraiburger Nähtreffs. Für die Eltern sei es schon schwer genug, ihr Frühchen an Schläuchen angeschlossen im Inkubator sehen zu müssen. Ein buntes Jäckchen oder farbenfrohe Socken würden da ein bisschen von der Dramatik ablenken. Die hübschen Kleidungsstücke, die von den Damen gefertigt werden, beginnen bei Babygröße 38 und reichen bis zu Größe 48. Sehr begehrt sind auch sogenannte Dufttücher: Die Mutter hält das kleine Stückchen Stoff eine Weile an ihren Körper, danach findet das Tuch neben dem Frühchen im Inkubator Platz, damit der kleine Mensch den Duft seiner Mama aufnehmen kann.

Ein Spendenpaket an die Charité

Wenn Frühchen den Kampf ums Überleben verlieren oder tot geboren werden, bricht für die Eltern eine Welt zusammen. „Den Schmerz können wir zwar nicht lindern, aber wir sorgen dafür, dass es für die kleinen Verstorbenen passende Kleidungsstücke oder Einschlagdecken zur Bestattung gibt“, erklärt Andrea Brunnhuber. Für die Sternenkinder nähen, stricken und häkeln die Frauen zauberhaft ausgestattete Abschiedsboote. Liebevoll und weich eingehüllt treten die Sternchen damit ihre große Reise an. Auch für reif geborene Babys, die vor, während oder nach der Geburt sterben, schaffen die „Herzens-Damen“ Einschlagdecken und Bekleidungen. Zu den Einschlagdecken stellen die Frauen für die verwaisten Eltern passende Erinnerungsherzen und Perlenengel her. Karten für einen letzten Hand- oder Fußabdruck als bleibende Erinnerung werden ebenso gestaltet.

Was im Juni 2015 als kleines Projekt in Schönwalde in Brandenburg begann, mauserte sich in kurzer Zeit zu einem anerkannten und gemeinnützig eingetragenen Verein. Bereits im August 2015 konnte ein erstes Spendenpaket an die Berliner Charité übergeben werden, das große Begeisterung und Resonanz hervorrief. Mittlerweile haben sich längst im ganzen Land fleißige und kreative Frauen zusammengetan, die den Verein tagtäglich ehrenamtlich unterstützen.

Umstellung auf Atemmasken

Im Pfarrsaal Waldkraiburg wird seit ungefähr drei Jahren etwa alle zwei Monate einen halben Tag lang eifrig gewerkelt. Bei jedem Treff finden sich zwischen 40 und 50 Frauen unterschiedlichen Alters im Pfarrsaal ein. Die Ehrenamtlichen stellen Nähmaschinen auf die Tische oder holen Strickzeug und Bastelmaterialien aus ihren Körben. Gleich darauf surren die Maschinen, und die Stricknadeln klappern. Die gefertigten Teile kommen später in das zentrale Lager des Vereins nach Bernau/Berlin. Dort werden alle Stücke qualitätskontrolliert und an die inzwischen mehr als 200 Kliniken und Bestatter deutschlandweit verteilt. Andrea Brunnhuber hält den Kontakt zu den hiesigen Kliniken in Mühldorf und Altötting. Aufgrund der Corona-Krise haben die Frauen ihre Produktpalette momentan erweitert: Sie nähen nun auch Behelf-Mund-Nasen-Abdeckungen für Kliniken und Hebammen.

Die Motivation der einzelnen Damen, sich für die Herzenssache zu engagieren, stellt sich recht unterschiedlich dar. Tanja Wettstädt etwa gibt zu: „Ich kann hier meine Nähleidenschaft ausleben“, und für Martina Bojert ist der Treff eine gute Gelegenheit, mal aus dem Alltag auszubrechen. Eine der fleißigen jungen Frauen, die zum harten Kern des Treffs gehört, musste vor drei Jahren allerdings selbst die Erfahrung mit einem Sternenkind machen. Wie Andrea Brunnhuber erklärt, würden sich viele Eltern bei ihnen und dem Verein für die Handarbeiten bedanken. Etwa per E-Mail oder auch persönlich auf „Frühchen-Festen“ der Kliniken, zu denen die Frauen immer wieder eingeladen werden. Sie gestehen: „Da geht uns das Herz auf, wenn wir sehen dürfen, wie sich viele zu früh geborene Menschenkinder am Ende doch noch prächtig entwickelt haben.“ (Ursula Huckemeyer)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Corona - Pandemie