Sufismus und Kabbala

Mystik im Islam und Judentum

Tiefe Gottes- und Glaubenserfahrungen zeichnen alle Religionen aus. Auch der Islam und das Judentum kennen Mystiker und mystische Traditionen.

Mystische Traditionen finden sich neben dem Christentum auch im Islam und Judentum. © Mongkolchon - stock.adobe.com

Jüdische Mystik: Kabbala

Das Judentum hat eine reiche mystische Tradition, in der das geheimnisvolle Verhältnis zwischen dem unendlichen Gott und seiner begrenzten Schöpfung, die unmittelbare Gotteserfahrung und die Gotteserkenntnis im Mittelpunkt stehen. Als spirituelle Lehre der jüdischen Mystik bekannt ist die Kabbala, die auch als Weisheit oder Seele des Judentums bezeichnet wird.

Unter dem Begriff „Kabbala“ sind Theorien und Praktiken mit unterschiedlichster Akzentuierung – etwa theosophische („Gott ist in allem“, Suche nach Erkenntnis über den verborgenen Gott), ekstatisch-meditative und sogar magische – vereint. Dementsprechend deckt auch die kabbalistische Literatur ein weites Feld ab, von Tora-Kommentaren über Meditationen bis hin zu kosmologischen Visionen und hebräischer Buchstaben- und Zahlenmystik.

Einer der bedeutendsten jüdischen Mystiker war Moses Cordovero (1522–1570), dessen Schrift „Pardes Rimonim“ („Garten der Granatäpfel“, 1548) als eines der Hauptwerke der Kabbala gilt. Darin schreibt Cordovero über 32 Tore als Stationen zur Erlangung der Weisheit. Eine wichtige Leistung Cordoveros bestand darin, dass er die vielfältigen kabbalistischen Strömungen und Lehren erstmals systematisch aufarbeitete und ordnete. Cordovero gründete zudem eine Kabbala-Schule in der galiläischen Stadt Safed, die sich zur „Hauptstadt der Kabbala“ entwickelte.

Sein Nachfolger in Safed, Isaak Luria (1534–1572), wird ebenfalls als einer der größten jüdischen Mystiker und als Vater der neuzeitlichen Kabbala bezeichnet. Gefragt, warum er – anders als Cordovero – seine Lehren nicht niederschrieb, antwortete er: „Es ist unmöglich, weil alle Dinge zusammenhängen. Ich kann kaum meinen Mund öffnen, ohne das Gefühl zu haben, dass sich ein ganzes Meer Bahn brechen und überfließen will. Wie soll ich da ausdrücken, was meine Seele empfunden hat, und wie soll ich es in einem Buch festhalten?“

Islamische Mystik: Sufismus

Die mystischen Strömungen innerhalb des Islam werden meist als Sufismus bezeichnet, die oft in Orden organisierten Mystiker heißen Sufis oder Derwische. Zu den sufistischen Praktiken zählen das tägliche Gottesgedenken und die Meditation, Tanz und Musik sowie Wallfahrten zu Gräbern von Sufi-Heiligen.

Ein wichtiger Protagonist des persischen Sufismus war Dschalal ad-Din Rumi (1207–1273), auch Maulana oder Mevlana genannt, der von Fachleuten als größter Mystiker im islamischen Bereich und sogar als größter pantheistischer Dichter aller Zeiten gerühmt wurde. Geboren in Zentralasien, verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens in der anatolischen Seldschuken-Hauptstadt Konya in der heutigen Türkei. Als Gelehrter trat er in die Fußstapfen seines Vaters, eines Theologen und Predigers.

Rumis Leben änderte sich von Grund auf durch die inspirierende Begegnung und die erfüllende Freundschaft mit dem Mystiker Shamsoddin von Tabriz. In diesem erkannte er den „göttlichen Geliebten“, verschrieb sich ganz der gemeinsam erlebten Spiritualität und wandelte sich vom etablierten Theologen zum asketischen Mystiker. Vor allem, nachdem Shamsoddin – vermutlich gewaltsam – gestorben war, entfaltete Rumi in seinem Schmerz eine rege poetische Tätigkeit und erfand einen mystischen, von Musik begleiteten Tanz. Für diesen Tanz wurden die Anhänger des auf Rumi zurückgehenden Mevlevi-Ordens später auch in der westlichen Welt als tanzende oder wirbelnde Derwische bekannt.

Rumis literarische Hauptwerke sind der Diwan und das Masnawi. Der Diwan ist ein knapp 50.000 Verse umfassendes lyrisches Werk, das von mystischen Motiven wie der Einswerdung von Subjekt und Objekt sowie der „Trunkenheit von Gott“ durchdrungen ist. Das Masnawi umfasst gut 25.000 Reimpaare und wurde als „Bibel des Sufismus“, „Koran in persischer Sprache“ und eines der größten poetischen Werke aller Zeiten bezeichnet. Zentrale Motive in Rumis Dichtung sind die Liebe, der Weg zu Gott und die Existenz Gottes in allen Dingen, sein Lieblingssymbol ist die Sonne.