Dieses Dokument hatte Roland Götz noch nie in Händen gehalten: das vom päpstlichen Gesandten in Bayern höchstpersönlich unterzeichnete Schreiben, das den Freisinger Dom zur gewöhnlichen Pfarrkirche herabstufte. Bisher war es noch nie in der Fachliteratur zitiert, die andere Quellen für diese Demütigung der alten Bischofs- und Residenzstadt anführt.
Unbekanntes Dokument
Der promovierte Kirchenhistoriker und stellvertretende Leiter des Archivs der Erzdiözese München und Freising hat es gefunden, als er die Onlineausstellung zum 200-jährigen Jubiläums des Erzbistums gestaltet hat. Die vom päpstlichen Nuntius beglaubigte Aufhebung des Freisinger Doms bedeutete auch, dass in München die Pfarrkirche Zu unserer Lieben Frau zur Bischofskirche erhoben wurde. Heute kann sich kaum noch jemand vorstellen, dass das jemals anders war. Trotzdem ist das erst seit 1821 der Fall. Ein Jahr der großen Umbrüche, das den Niedergang alter Verhältnisse genauso besiegelte, wie zahlreiche Neuanfänge, die den damaligen Zeitgenossen noch gar nicht oder nur in schwachen Umrissen bewusst waren.
Epochenwende auch heute
Immer wieder hat Götz bei diesem Jubiläum darauf hingewiesen, „dass unsere Vorfahren damals eine grundstürzende Umbruchszeit erlebt haben.“ Das stehe in einer engen Beziehung zum Gefühl vieler Menschen in der Gegenwart: „Es ist das Gefühl, dass wir heute ebenfalls in einer Epochenwende stehen, in der vieles nicht mehr so weitergehen kann, wie es sich seit 1821 herausgebildet hat.“ Das sagt der Kirchenhistoriker in der neuen und letzten Folge des Podcasts „12 Momente aus 200 Jahren“, der sich mit dem Gedenkjahr beschäftigt. Die kirchliche Situation damals war voller Unsicherheiten: Es gab keine aktiven Klöster mehr, die sich zuvor weitgehend um die Seelsorge im Bistum Freising gekümmert hatten. Das neue Erzbistum bestand zudem zu einem Drittel aus ehemaligem Salzburger Territorium, dessen Klerus und Gläubige integriert sein wollten. Gewaltige Veränderungen zeigten sich auch bei der Bestimmung des Erzbischofs von München. Hatte zuvor jahrhundertelang das Freisinger Domkapitel, also das Beratungs- und Verwaltungsgremium der Diözese, den Bischof gewählt, ging das Ernennungsrecht nun auf den bayerischen König über.