Zum Tod des emeritierten Papstes

Monsignore Frauenlob: „Benedikt XVI. war ein großer Denker und Theologe“

Der Berchtesgadener Pfarrer Monsignore Frauenlob begleitete Benedikt XVI. mehrere Jahrzehnte. Er hat ihn als warmherzigen Menschen erlebt, der auch zu persönlichen Schwächen stehen konnte.

Der Berchtesgadener Pfarrer Monsignore Frauenlob kannte Benedikt XVI. mehrere Jahrzehnte. © privat

Monsignore Thomas Frauenlob war Papst Benedikt XVI. in besonderer Weise verbunden. Als Leiter des Studienseminars Sankt Michael in Traunstein hatte er den damaligen Kardinal Joseph Ratzinger häufig zu Gast. Der hat ihn 2006 nach Rom berufen und auch als Papst die freundschaftliche Verbindung zu Frauenlob gehalten. Heute ist der 59-Jährige Pfarrer in seiner Heimat im Berchtesgadener Land.

mk-online: Monsignore Frauenlob, wann haben Sie Papst Benedikt XVI. zum letzten Mal gesehen?

Monsignore Thomas Frauenlob: Ich habe Papst Benedikt zum letzten Mal im August persönlich im Vatikan getroffen. Er war wie immer bestens informiert, weil er Lokalzeitungen gelesen und stets auch einiges nachgefragt hat. Aber es war sehr deutlich schwächer geworden, so dass er nur noch hauchend sprechen konnte und seine engste Umgebung die Antworten oft übersetzen musste. Trotz dieser Einschränkung war es aber wie immer ein sehr herzliches und offenes Gespräch, wie er das als guter Seelsorger immer getan hat. Zum Abschied habe ich versucht, ihn etwas aufzumuntern und gesagt: „Heiliger Vater, bleiben Sie uns noch lange erhalten.“ Er hat mich dann intensiv angeschaut und meinte: „Nein, ich mag nicht mehr, ich will sterben.“ Ich habe mich in den vergangenen Jahren bei jeder Begegnung in dem Bewusstsein verabschiedet, dass ich ihn das letzte Mal gesehen haben könnte.

Sie haben den emeritierten Papst seit Jahrzehnten gekannt, standen ihm insbesondere auch in Rom nahe, als er Papst war. Inwiefern hat ihn dieses Amt auch verändert?

Frauenlob: Als ich an der Kurie arbeitete, konnte ich von meinem Schreibtisch jeden Mittwoch die Generalaudienzen auf dem Petersplatz verfolgen. Und ich habe dann schon gestaunt, wie der vorher eher distanzierte Präfekt der Glaubenskongregation plötzlich so nahbar und herzlich gegenüber den Gläubigen war, und das war ganz aufrichtig. Es war, als hätte Joseph Ratzinger einen Schalter umgelegt. Ich habe mich sehr gefreut, dass er nun eine andere Seite seiner Persönlichkeit zeigen konnte, die vorher zumindest der breiten Öffentlichkeit verborgen war. Er konnte vor einem weltweiten Forum seine Freundlichkeit zeigen, die er als Mensch im direkten Gespräch immer hatte.  

Diese Warmherzigkeit haben Sie auch persönlich kennengelernt?

Frauenlob: Bei seinen Besuchen in Traunstein war er immer äußerst bescheiden, stellte überhaupt keine Ansprüche. Das machte ihn sehr sympathisch. Trotz allem strahlte er eine ungeheure Präsenz und – besonders zu den einfachen Menschen – Zugewandtheit aus. Wenn er einen angeschaut und mit einem gesprochen hat, hatte man das Gefühl, in diesem Moment der einzig wichtige Mensch für ihn zu sein. Bei Begegnungen mit Papst Johannes Paul II. hatte ich oft den Eindruck, kaum hat er einem die Hand gegeben, schaute er schon zum nächsten, das war bei Benedikt anders. Besonders wenn ihm jemand auf sein gepflegtes Bairisch in demselben Idiom geantwortet hat, war sofort eine Verbindung da.

Ihre Verbindung zu Papst Benedikt ist nie abgerissen. Wie haben Sie ihn nach seinem Amtsverzicht erlebt?

Frauenlob: Als er am 11. Februar 2013 seinen Rücktritt erklärte, war ich überzeugt, ihn nie wieder zu sehen. Seinem letzten öffentlichen Gottesdienst am Aschermittwoch, es war mein 50. Geburtstag, konnte ich persönlich beiwohnen. Es war damals im Vatikan davon die Rede, dass Papst Benedikt so erschöpft sei, dass er nicht mehr lange zu leben habe. Ein paar Wochen später lud er mich dann nach Castelgandolfo zum Kaffee ein. Da schien er tatsächlich sehr schwach und wohl selbst davon überzeugt, nicht mehr viel Lebenszeit zu haben. Im Oktober 2013 habe ich ihn wiedergetroffen und es war, als seien neue Lebensgeister in ihm wachgeworden und eine große Last abgefallen, er wirkte richtig aufgelebt. Natürlich zehrte an ihm körperlich die Last der Lebensjahre weiter, aber er war geistig fit bis zuletzt und hat immer aufmerksam Anteil genommen an dem, was ich ihm erzählt habe.

Inwiefern hat ihn denn gerade in dieser Zeit der alles überschattende Missbrauchsskandal belastet?

Frauenlob: Joseph Ratzinger war seit Kindheit ein eher scheuer und empfindsamer Mensch. Der Missbrauchsskandal muss ihn persönlich sehr schwer bedrückt haben. Bei allen Fehlern, die gemacht worden sind, finde ich es schade, dass die Faktenlage nicht ausreichend berücksichtigt wird. Da hat sich eine Dynamik in der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung entwickelt, die Papst Benedikt in eine Ecke stellt, in die er ganz klar nicht hingehört. Er hat wohl als einer der wenigen Kurienleiter schon in den 1990er Jahren erkannt, welche Sprengkraft in dem Thema stecken würde und welcher immenser Skandal sich da verbirgt. Er hatte erkannt, dass viele Bischöfe das nicht sehen wollten und es vielfach kein Instrumentarium gab, um mit den Missbrauchsfällen angemessen umzugehen. Darum hat er die Fälle an die Glaubenskongregation gezogen und professionell bearbeiten lassen. Dabei muss man die damaligen Zeitumstände und das damalige Bewusstsein berücksichtigen, das aus heutiger Sicht freilich nicht ausgereicht hat. Es musste sich erst entwickeln. Als Papst hat sich Benedikt XVI. fast auf allen Reisen mit Missbrauchsopfern getroffen. Die Berichte schildern, wie er diesen Menschen mit großer Empathie und Zugewandtheit begegnet ist. Das Leid der Betroffenen hat ihn zutiefst berührt und traurig gemacht.  

Auf vielen Facebook-Kommentaren schlägt dem verstorbenen Benedikt XVI. Häme und Hass entgegen. Was löst das in Ihnen aus?

Frauenlob: Ich bin darüber entsetzt, weil es der gesamten Lebensleistung eines großen Theologen einfach nicht gerecht wird. Benedikt XVI. wäre sicher der Letzte, der von sich behaupten würde, keine Fehler gemacht zu haben. Was jetzt aber an Häme über ihn ausgeschüttet wird, finde ich zutiefst verletzend und es macht mich traurig.

Welche nachdrücklichste Erinnerung werden Sie an ihn behalten?

Frauenlob: Da gibt es viele Anekdoten. Einmal war er in Traustein und hatte am Nachmittag einen offiziellen Termin. Da musste ich ihn aus seiner Siesta wecken, einfach weil er verschlafen hatte. Da deutelte er gar nicht lange herum und es war rührend zu sehen, wie dieser nach außen hin immer so perfekt wirkende Kardinal ganz selbstverständlich einräumte, dass er eben überhaupt nicht perfekt ist und die Last seines Arbeitspensums ihn manchmal erdrückt. In diesem Moment war er einfach menschlich.

Wie glauben Sie, dass man in 50 Jahren über ihn urteilen wird?

Frauenlob: Kirchengeschichtlich ist ein halbes Jahrhundert keine lange Zeit. Aber ich bin überzeugt, viele Menschen werden in 50 Jahren sehen, dass mit Benedikt XVI. ein großer Denker und Theologe am Werk war, der mittels seiner scharfen analytischen Fähigkeiten und seiner Begabung, komplexe Zusammenhänge verständlich darzustellen, nahende Krisen frühzeitig erkannt und in einer sich stark verändernden Welt und Kirche nach vorne geschaut hat. Wir werden von ihm in Zukunft noch viel lernen und von seinem Lebenswerk profitieren. (Das Interview führte Alois Bierl, Chefreporter beim Sankt Michaelsbund)