Inklusion und Integration

Mit und ohne Behinderung gemeinsam im Kindergarten

Vorurteile und Berührungsängste haben hier keinen Platz: das katholische Kinderhaus „Maria Trost 2“ ist eine integrative Einrichtung und eine Bereicherung für alle Kinder.

Eine Erzieherin bastelt mit einem Mädchen mit Down-Syndrom in einer integrativen Gruppe in einem Kindergarten. (Symbolfoto) © IMAGO/epd

„Mama, warum läuft der Mann da so komisch?“ Oder: „Papa, warum ist die Frau da so klein?“ – Es gibt wohl kaum Eltern, die bei solchen Fragen nicht schon zusammengezuckt sind. Wenn Kinder auf der Straße laut auf Menschen mit einer körperlichen Behinderung reagieren, dann ist das den meisten Erwachsenen ganz schön peinlich. Denn man hat ja gelernt: Mit dem Finger zeigt man nicht auf andere Leute. Wenn Kinder aber jemanden sehen, der anders aussieht, als sie das gewohnt sind, können sie die Neugier kaum zurückhalten.

Mit schlechter Erziehung hat das nichts zu tun, sagt Judith Ettner: „Kinder reagieren einfach spontan und ehrlich.“ Wenn das den Eltern dann unangenehm ist, hat das ihrer Erfahrung nach eher mit den Ängsten und Unsicherheiten der Erwachsenen zu tun als mit falschem Verhalten der Kinder.

Miteinander ohne Vorurteile oder Berührungsängste

Die 54-Jährige ist Erzieherin und stellvertretende Leiterin des katholischen Kinderhauses „Maria Trost 2“ im Münchner Stadtteil Untermenzing. 60 Kinder besuchen die integrative Einrichtung. Darunter welche mit sprachlichen Beeinträchtigungen, Autismus, Mehrfachbehinderungen – oder eben auch ganz ohne Behinderung. Das Spektrum in Maria Trost soll möglichst das der ganzen Gesellschaft abbilden.

Für die Kinder ist es deshalb nichts Außergewöhnliches, wenn sie Spielkameraden haben, die nicht reden oder laufen können, oder die sich anders benehmen. „Am Anfang kann das vielleicht schwierig sein“, weiß Ettner, „aber ganz schnell wird es dann im Miteinander-Leben und -Spielen selbstverständlich.“

Vorurteile oder Berührungsängste gibt es zwischen den Kindern nicht. In Maria Trost leben die Kinder ein soziales Miteinander und sie lernen, aufeinander aufzupassen und Rücksicht zu nehmen. Gespielt wird gemeinsam, die Großen helfen den Jüngeren, und was ein Kind allein nicht schafft, das macht man dann zusammen. Eigentlich wie in jedem anderen Kindergarten, nur dass die Kinder hier noch mehr auf die individuellen Bedürfnisse der anderen zu achten lernen.

Behinderungen im Gruppenalltag kein Thema

Anne Blattenberger, hat zwei Kinder in Maria Trost. Ihre erste Tochter Luise hat eine Behinderung. Die 38-Jährige ist froh, dass ihr Kind hier in einer Umgebung aufwächst, wo sie keine Außenseiterin ist. Die Kinder lernen, mit ihr und all ihren Besonderheiten umzugehen. „Hier ist es ganz alltäglich, dass auch eine Behinderung mit dazugehört“, betont Blattenberger. Das spüre auch ihre Tochter. Luise freue sich, wenn sie von anderen Kindern aus dem Kindergarten auch auf der Straße angesprochen wird. „Durch das Kinderhaus ist sie mittendrin und fühlt sich auch im Stadtviertel angekommen.“

Untereinander dürfen die Kinder hier so neugierig sein, wie sie wollen. Angesprochen und thematisiert werden die Behinderungen im Gruppenalltag aber meist nicht. So würden Kinder nämlich einzeln in den Mittelpunkt gestellt werden, „und da gehören sie nicht hin“, sagt Ettner. Alle Kinder sollen sich vor allem als Teil einer Gruppe sehen und dort wohlfühlen können. Trotzdem sei im Gruppenalltag aber auch Platz für Fragen. „Wenn Kinder unsicher sind, wie sie mit einem anderen Kind umgehen sollen, das nicht sprechen kann oder blind ist, muss das natürlich thematisiert werden“, betont die Pädagogin. Nur so entsteht auch keine Angst, etwas falsch zu machen.

Auch nicht behinderte Kinder profitieren

Wie überall versucht auch in Maria Trost das pädagogische Personal, die Kinder zur Selbstständigkeit zu erziehen und ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. Damit das trotz der anspruchsvollen Gruppenzusammensetzung auch funktioniert, sind die Gruppen im integrativen Kinderhaus etwas kleiner als die herkömmlicher Kindergärten. Außerdem steht der Einrichtung pro fünf Kindern mit Behinderung eine zusätzliche Fachkraft zu. So ist auch immer jemand da, der sich Zeit nehmen kann, wenn Fragen zu den besonderen Bedürfnissen anderer Kinder kommen. Erklärt wird dann zum Beispiel mit Bilderbüchern, Bildkarten oder in Form einer Geschichte, „je nachdem wie die jeweiligen Kinder das am ehesten aufnehmen können“, sagt Ettner. 

Während die Eltern behinderter Kinder in Maria Trost eine optimale Förderstätte für die besonderen Bedürfnisse ihrer Kinder sehen, suchen sich auch Eltern nicht behinderter Kinder ganz gezielt diese Einrichtung aus. Wie zum Beispiel Theresia Haarmann. Sie ist überzeugt, dass auch ihre Tochter davon profitiert, mit behinderten Kindern gemeinsam aufzuwachsen: „So lernt sie von Anfang an, dass jeder verschieden ist“, sagt die 35-Jährige, „und sie lernt, dass es nicht darum geht, was man nicht kann, sondern darum, was man schon kann.“ Und davon können sich dann auch viele Erwachsene etwas für ihren Umgang mit Behinderten anschauen.

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de