Meinung
Amoklauf in München

Michael

Viele Kollegen der Redaktionen des Sankt Michaelsbundes haben den Amoklauf in München und die Situation in der Landeshauptstadt miterlebt. Der Leiter der Online-Redaktion, Georg Walser, war in der Fußgängerzone und flüchtete bei einem Einsatz einer Spezialeinheit in die Jesuitenkirche St. Michael.

Georg Walser ist Leiter der Online-Redaktion (Bild: Sankt Michaelsbund) © Sankt Michaelsbund

München – Dass bewaffnete Polizei Menschen in eine Kirche schicken, habe ich so noch nicht erlebt. Aber es war schlichtweg in der Situation angemessen und konsequent: Ich habe mich, als die Meldungen von den Schüssen draußen in Moosach die Runde machten, von der Redaktion aus auf den Weg Richtung Dom gemacht. Mal schauen, ob sich dort vielleicht schon Menschen versammeln. Mir war klar, dass hier etwas Außergewöhnliches in München passiert war. Darüber wollte ich auch in den Münchner Kirchennachrichten berichten, vor allem wenn sich das in Münchner Kirchen widerspiegelt. Ich war auf halber Strecke zwischen unserer in Stachus-Nähe gelegenen Redaktion und dem Dom, als unmittelbar massenhaft Menschen losgerannt sind. Ich weiß nicht, ob das vom Anblick schwerbewaffneter Polizei ausgelöst wurde, oder ein unbedachter Zuruf daran schuld war. Noch unmittelbar zuvor konnte ich gut beobachten, dass einerseits viele Menschen aufs Smartphone schauten und offensichtlich angespannt waren. Aber es waren auch sehr viele unterwegs, die gelöst durch die Stadt schlenderten, die Kinder an der Hand und offenbar noch nicht im Bilde über die Situation. Auch mir war nicht klar, dass sich die Polizei verschanzte und bewaffnete Täter in der Fußgängerzone vermutete und sich die Sache längst nicht nur weit weg in Moosach abspielte.

Als nur wenige Minuten später Sondereinsatzkommandos die Kaufingerstraße durchkämmten, konnte ich mir zusammenreimen, dass jetzt auch die City betroffen war. Inzwischen war es fast schon still in Münchens belebtester Straße. Wo die vielen Menschen in so kurzer Zeit hingekommen sind, ist mir bis jetzt nicht klar. Chaos? Terrorwelle? Auch wenn das jetzt arg großspurig daherkommt: Nein, nicht in der Ecke, wo ich mit ein paar Passanten stand. Hier läuft ein großer Einsatz und jetzt ist auch nicht die Zeit für Witze, das schon. Aber von der zeitlich gesehen sehr kurzen Lauferei abgesehen machte alles einen immer noch recht geordneten Eindruck auf mich.

Die Jesuitenkirche Sankt Michael war in Sichtweite und offen. Also bin ich, zusammen mit etlichen Passanten, rein. Drinnen waren zu dem Zeitpunkt vielleicht 50 oder 60 Menschen. Die Lage war unklar, die Fußgängerzone inzwischen fast menschenleer. Konnte man doch schon wieder raus? Ein weiteres Mal patrouillierte schwer bewaffnete Polizei, wir standen zu mehreren in der Kirchentür. Und da war es letztlich nichts anderes als die Sorge um die Menschen, weswegen die Polizisten uns eine kurze, klare Anweisung zuriefen „Gehen Sie rein und schließen Sie die Tür!“

Die Jesuitenkirche Sankt Michael am Freitagabend (Bild: Georg Walser)

Und drinnen: Ein paar Mädchen kauerten ganz vorne im Chorgestühl, ein Mann saß in umgekeherter Richtung auf der Kniebank der letzten Reihe. Betend. Mein persönliches Bild von diesem Abend, das ich mir gut im Gedächtnis verwahren werde. Ein Smartphone hatten fast alle griffbereit, mich selbst eingeschlossen. Die meisten telefonierten, erst um über die Lage zu berichten, schon bald um schlichtweg die Heimreise zu organisieren. Inzwischen war bekannt, dass U- und S-Bahn den Betrieb eingestellt hatten. Auch hier war die Situation erstaunlich ruhig und vor allem von praktischen Dingen geprägt. Eine ältere Dame schnappte sich einen der Mesner, sie suchte ihre Handtasche, die sie offenbar zuvor beim Gottesdienst vergessen hatte. An der Kirchentür tauchten Menschen auf, weil sie schlichtweg aufs Klo mussten: „Draussen hatte ja alles zu.“ Pater Kern konnte auch bei diesem Anliegen helfen, begleitete die Leute durch den Altarraum, heute auch mal ohne Kniebeuge, vorbei an der Sakristei zum stillen Örtchen. Der Jesuitenpater informierte später noch auf Deutsch und Englisch über die Situation und gab auch Menschen zu Essen, die schlichtweg nicht nach Hause kamen. Einige übernachteten dann sogar bei den Jesuiten, wie ich später in einer Pressemeldung des Erzbistums gelesen habe.

Nach Mitternacht bin ich nochmal hin zur Jesuitenkirche, am Rückweg kam ich vorbei am Hintereingang des Oberpollinger. Eine dunkle Limousine fuhr vor und holte eine betuchte Familie ab, die an diesem Abend das Kaufhaus nach der regulären Öffnungszeit exklusiv zum Shoppen gebucht hatte. Georg Walser