25. Jahrestag

Maier: Schule braucht positive wie negative Religionsfreiheit

Der ehemalige bayerische Kultusminister, Hans Maier, erklärt zum 25. Jahrestag des Kruzifixstreits, warum das Bundesverfassungsgericht irrte und eine falsche Bildungsauffassung hatte.

Hans Maier war nicht nur Kultusminister sondern auch Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK). © SMB

Frankfurt – Schule muss nach Worten des früheren bayerischen Kultusministers Hans Maier für die positive wie für die negative Religionsfreiheit offen sein. Die Offenheit gelte "für die positive Religionsfreiheit, die ein Erbe des Christentums ist, wie für die negative Religionsfreiheit, die auf radikale Strömungen innerhalb der Aufklärung zurückgeht", schrieb Maier in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag). Allerdings verbiete sich, "eine der beiden Freiheiten der anderen unterzuordnen", wie dies 1995 mit dem sogenannten Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts geschehen sei.

Zum 25. Jahrestag des Urteils kritisierte Maier eine "magische Bildauffassung" der damaligen Richter, die von einer "Unvermeidbarkeit der Begegnung mit dem Kreuz in Schulräumen" geschrieben hatten. Bei ihrem Urteil seien "nicht nur fachliche Argumente im Spiel" gewesen, sondern auch "persönliche, biografische Vorgaben", wie er später im persönlichen Gespräch festgestellt habe. Maier (88), der von 1976 bis 1988 auch Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) war, sieht in der Kontroverse auch Bezüge zum reformatorischen Bilderstreit im Deutschland des 16. Jahrhunderts.

Das Kruzifix ein "passives Symbol"

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai 1995 die "Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist", verboten. Geklagt hatten anthroposophische Eltern; sie argumentierten, die Darstellung eines "sterbenden männlichen Körpers" widerspreche ihren Erziehungsvorstellungen. Das Urteil rief scharfe Kritik von Kirchenvertretern sowie Kundgebungen gläubiger Christen hervor. Ein revidiertes bayerisches Unterrichtsgesetz führte später ein Einigungsverfahren in Konfliktfällen ein und hegte die Kontroverse so ein.

Maier erinnerte auch an den europäischen Kruzifix-Streit, der durch einen ähnlich gelagerten Fall 2009 in Italien entstand und in zwei gegensätzliche Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg mündete. Nachdem der Erste Senat zunächst eine Abhängung des Kreuzes anordnete, entschied die Große Kammer schließlich 2011, das Kruzifix sei ein "passives Symbol", dessen Anblick nicht mit der Teilnahme an religiösen Aktivitäten vergleichbar sei. Über den Verbleib in Klassenzimmern zu befinden, gehöre zum Ermessensspielraum der nationalen Behörden. Dieses Urteil wurde von allen 47 Mitgliedstaaten des Europarates anerkannt. (kna)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Kreuz-Debatte