Geistliche Begleitung des Synodalen Weges

„Macht was draus!“

Bernd Hagenkord hat eine wichtige Rolle beim Synodalen Weg. Was seine Aufgaben sind und wie er die erste Sitzung des Reformprozesses erlebt hat, erzählt der Jesuit im Interview.

Bernd Hagenkord ist Theologe und Geistlicher Begleiter des Synodalen Weges. © Harald Oppitz/KNA

Der Jesuit Bernd Hagenkord war bei der ersten Vollversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt die beruhigende Stimme nach erhitzten Sitzungsrunden. Mit meditativen Impulsen trugen er und seine Kollegin, die Theologin Maria Boxberg von der Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL), viel zur gelingenden Atmosphäre und spirituellen Gesamterfahrung der Vollversammlung bei. Wie hat Pater Hagenkord das erste Treffen erlebt? Das Interview mit dem 51-jährigen Ordensmann fand im Berchmanskolleg der Jesuiten im Münchner Stadtteil Schwabing statt, wo er seit vergangenem Jahr wohnt. Davor leitete Hagenkord zehn Jahre lang die deutschsprachige Abteilung von Radio Vatikan in Rom.

mk online: Wie wird man geistlicher Begleiter eines Projekts wie dem des Synodalen Wegs?

Pater Bernd Hagenkord: Ganz ehrlich: keine Ahnung. Ich habe seinerzeit einen Anruf von den beiden Sekretären bekommen – damals für das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) noch Stefan Vesper und Pater Hans Langendörfer für die Deutsche Bischofskonferenz (DBK). Beide fragten mich, ob ich Lust, Zeit und Interesse hätte, das zu machen. „Warum gerade ich?“ wollte ich wissen, und sie sagten, dass sie eine Kombi aus zwei Personen suchten, eine Begleiterin und einen Begleiter. Sie hätten gern Maria Boxberg von der GCL und mich. Weil ich das Ganze spannend und wichtig finde, habe ich ja gesagt. Es stellte sich schließlich auch heraus, dass ich mit Maria Boxberg sehr gut zusammenarbeiten kann und wir eine gute Kombination sind.

Sie brauchten also keinerlei Bedenkzeit?

Na ja, ich habe schon noch, wie es in unserem Orden üblich ist, meinen Oberen gefragt, was er davon hielte, aber nach dessen Okay habe ich gern und relativ bald zugesagt.

Was waren Ihre Hauptaufgaben vor der ersten Vollversammlung in Frankfurt?

Es galt, zahlreiche Vorbereitungsarbeiten zu bewältigen. Man muss sich ja erst einmal grundsätzlich überlegen: Was kann man überhaupt machen? Da kommen 230 Menschen zusammen, die sind alle gut katholisch, denen brauche ich nichts beibringen. Die Frage ist vielmehr: Was benötigen sie für Hilfestellungen, was ist angemessen, was wirkt eher übergriffig? Dann gehörte natürlich auch die Vorbereitung der Gottesdienste dazu, hier waren wir als geistliche Begleiter mitbeteiligt.

Und dann bei der ersten Vollversammlung in Frankfurt?

Während der Versammlung fanden die Gottesdienste statt, zwei Eucharistiefeiern und ein Wortgottesdienst plus eine geistliche Einleitung plus vier „Einhalte“, zum Ende einer jeder Morgen-, Mittag- und Abendeinheit. Mit dieser Art von „Reflexions-Gebet-Zeit“ wollten wir gemeinsam schauen, was in jedem einzelnen Teilnehmer nachklingt – Stimmen, die sonst vielleicht angesichts der Emotionen untergehen würden. Und irgendwo findet sich dabei auch Gottes Stimme.

Konnte man mit diesen verschiedenen geistlichen „Einhalten“ die Stimmung beeinflussen oder nur runterdimmen?

Das war kein Runterdimmen, das habe ich so auch immer klar gesagt, die Debatte sollte nicht ruhiggestellt werden. Vielmehr wollten wir sie ausweiten auf Stimmen, die in den einzelnen Teilnehmern klingen und die sonst nicht gehört worden wären, weil die anderen zu laut waren. Es ging um eine Unterbrechung, daher auch der Name „Einhalt“, um ein Aussteigen aus der Wucht der Emotion. Man sollte Fragen in einem selbst auf die Spur kommen: Was hat mich gefreut? Was frustriert? Was erstaunt? Was geärgert? Und dann die Frage: Wie kann ich damit vor Gott umgehen? Das war die Funktion unserer „Einhalte“. Das Ganze soll ja auch ein geistlicher Weg und nicht nur eine Debatte sein. Und mit so einer kleinen Hilfestellung funktioniert das noch besser.


Da konnten Sie ja bei Ihrem Ordensvater Ignatius von Loyola aus dem Vollen schöpfen ...

Ja, ganz genau. Sowohl Maria Boxberg von der GCL wie ich als Jesuit kommen von den gleichen geistigen Quellen her, und aus denen haben wir natürlich geschöpft, wenngleich wir damit auch sehr kreativ umgegangen sind.

Gab es Bedarf von einigen Synodalen an Einzel- oder gar Beichtgesprächen?

An Beichtgesprächen nicht, an Einzelgesprächen aber sehr wohl. Sowohl die Debatten selbst wie auch unsere Gebetszeiten lösten in einigen Teilnehmern schon etwas aus. Ein paar kamen dann zu mir und baten um ein Gespräch.

Wie empfanden Sie die Stimmung bei der Versammlung?

Sehr gemischt, sehr neugierig, sehr gespannt. Ich glaube, die meisten hatten sich nicht getraut, etwas zu erwarten, weil keiner anfangs wirklich einschätzen konnte, was da auf einen zukommt. Es gab gleich am Anfang einen sehr wichtigen Moment nach der Eröffnungsmesse, als sechs Teilnehmer nach vorne kamen und dort vor der Gottesdienst-Versammlung erzählten, warum sie in der Kirche seien, was sie glaubten, was sie einbrächten. Alles wurde sehr wuchtig vorgetragen, und diese sechs Personen spiegelten die komplette Bandbreite von Kirche in Deutschland wider. Da machte es bei mir klick und ich dachte, ja, da sind nun 230 Geistliche und Laien versammelt, die kommen alle mit einer Überzeugung. Da ist keiner darunter, der nur dem Gegenüber zuhören will. Nein, die wollen vielmehr alle etwas und haben sehr deutliche Überzeugungen und Ideen. Das musste sich dann aushandeln. Da gab es einige Momente, die waren verwirrend und verwirrt, es gab Momente, da brannte die Luft, da war richtig Spannung drin und es gab natürlich auch Momente, die verliefen glatt. Mein Eindruck ist, dass das ein guter erster Schritt war – mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Von Ihrer früheren Aufgabe bei Radio Vatikan kennen Sie die Weltkirche. Wie ordnen Sie den Synodalen Weg in den weltkirchlichen Zusammenhang ein?

Das ist wirklich schwer zu sagen. Es gibt ja immer wieder Stimmen, die sich sofort zu Wort melden und hinter allem gleich das Schisma vermuten, was ich persönlich für ziemlichen Unfug halte, wenn man nur einmal genau betrachtet, was da passiert – nämlich genau das Gegenteil. Und es gibt viele Stimmen, vielleicht nicht ganz so laute, die eigentlich ganz interessiert auf das blicken, was wir da machen. Es ist eine typische deutsche Veranstaltung mit Geschäftsordnungsdebatten und so weiter. Wenn wir das Ganze aber gut über die Bühne kriegen, dann ist es ein Angebot an die Weltkirche und eine Einladung an andere Ortskirchen, im Sinne von ja, auch ihr könnt darüber reden, katholisch-weltkirchlich bleiben und trotzdem lokal sein.

Die Reaktionen der Beobachter aus anderen Ländern waren positiv ...

Ja, sehr positiv, bis dahin, dass mir der evangelisch- lutherische Vertreter sagte: „Meine Güte, geht ihr aber offen und ehrlich miteinander um.“ Das fand ich eine sehr gute Rückmeldung. Man merkte, dass die Teilnehmenden nicht taktierten, um etwas zu erreichen, sondern das aussprachen, was ihnen am Herzen lag.


Was entgegnen Sie permanenten Kritikern am Synodalen Weg, die das Geschehen, siehe etwa Kardinal Gerhard Müller, teils auch auf extrem gehässige Weise bewerten?

Es gibt mehrere Arten von Kritikern – jene, die nicht dabei sind, und jene, die dabei sind. Kritik von jenen, die dabei sind, etwa vom Kölner Kardinal Woelki, müssen wir sehr ernst nehmen. Nicht nur, weil er mit an Bord sein muss, sondern weil er ja wirklich etwas zu sagen hat. Es wäre viel zu einfach zu sagen: „Das ist falsch und schlimm und deswegen höre ich gar nicht zu, und wir machen unser Ding weiter.“ Die Kunst wird darin bestehen, mit allen zu reden und dabei zu versuchen, zu verstehen, was den Gegenüber jeweils bewegt und antreibt. Was die kritischen Stimmen von außen angeht – hier würde ich sagen, je extremer und je übertriebener sie sind, desto mehr bin ich dazu geneigt, diese zu ignorieren.

Kardinal Müllers Kritik konnte man aber nicht schweigend übergehen ...

Nein, das ging nicht. Wenn jemand das Ermächtigungsgesetz der Nazis als Vergleich heranzieht, dann kann man dazu nicht schweigen, das ist richtig. Es ist schade, weil sich sehr viele Menschen hiervon verwirren lassen. Aber wenn man an der Sache ernsthaft weiterarbeitet, dann glaube ich, dass die internationalen Beobachter und Journalisten schon mitkriegen werden, was da wirklich passiert, und das wird sich letztlich auch durchsetzen.

Also haben die Befürworter des Synodalen Wegs genug Selbstbewusstsein, um solche Kritik auszuhalten und wegzustecken?

Keiner kam in den Saal und sagte: „Wir retten jetzt die Welt oder die Kirche.“ Wir wissen alle, selbst wenn wir das Ganze erfolgreich zu Ende bringen, dass dann die Kirchen oder Priesterseminare nicht wieder voll sind. Es herrscht kein Allmachtsgefühl im Sinne von „Jetzt lösen wir alles“, sondern das Wissen um die Notwendigkeit, sich über gewisse Themen zu unterhalten, die uns, unserem Glauben, unserer Kirche und unserer Begegnung mit Jesus Christus im Weg stehen. Das ist eben auch die Verkündigungsdimension. Wenn wir wirklich für unseren Glauben eintreten, dann müssen wir all das, was uns hierbei im Weg steht, ansprechen. Und genau das tun wir.

Welche Erwartungen darf man realistischer Weise mit dem Synodalen Weg verknüpfen?

Gute Frage. Meine erste Erwartung ist, dass wir eine Weise finden, wie wir miteinander reden – alle mit allen. Diese Konflikt- und Debattenkultur ist unglaublich wichtig. Wenn es nicht nur bei einem Gesprächsprozess wie früher bleibt, dann ist das schon ein riesiger Erfolg. Aber dabei allein darf es auch nicht stehen bleiben. Es gibt die Themen und Fragen um Macht, Frauen, Sexualmoral und die priesterliche Lebensform. Es gibt Dinge, die die deutsche Kirche selbstständig regeln kann und es gibt Dinge, über die man mit der Weltkirche reden und auch Rom involvieren muss.
Die Antwort auf die Frage „Was geht, was geht nicht?“ wird sich aber erst im Lauf des Prozesses herausstellen.

Es gibt ja bereits Stimmen, die sagen, das Ganze müsse letztlich in einem Konzil enden oder aufbereitet werden.

Soweit denke ich gar nicht. Ich finde es auch noch nicht hilfreich, an etwas Derartiges zu denken. Sehen wir doch erst einmal genau hin, was unsere Probleme sind, was wir lösen und was wir nicht lösen können. Dann kann man darüber nachdenken, wie das weitergetragen werden kann.

Was würde Ihr Ordensvater Ignatius von Loyola wohl zu dem Unternehmen sagen?

Er lebte im 16. Jahrhundert, insofern ist ein Vergleich natürlich schwierig. Ignatius hat seinerzeit das Konzil von Trient miterlebt, hat Mitbrüder als Theologen mit klaren Anweisungen hingeschickt. Er gab ihnen ein paar Methoden an die Hand, so empfahl er ihnen unter anderem, lieber mehr zuzuhören, als selbst zu reden. Sie sollten immer irenisch sein, also immer versuchen, herauszufinden, was der Gegenüber eigentlich sagen wollte und sollten nicht in jeden Streit einsteigen. Was er wohl zum
Synodalen Weg im 21. Jahrhundert sagen würde? Vielleicht „Macht was draus!“

Der Autor
Florian Ertl
Münchner Kirchenzeitung
f.ertl@michaelsbund.de

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Synodaler Weg