Papst Franziskus im Baltikum

Litauen als "Leuchtturm der Hoffnung"

Auch am zweiten Tag des Papstbesuchs in Litauen ging es viel um die Geschichte: Die Judenvernichtung im Ghetto von Vilnius vor 75 Jahren ebenso wie die Leiden unter der Sowjetbesatzung. Zugleich machte Franziskus Hoffnung.

Papst Franziskus © Pacific Press Agency

Kaunas/Vilnius – Mit einem Gänsehautmoment und einem eindringlichen Appell hat Papst Franziskus am Sonntagabend seine zweitägige Reise nach Litauen beendet. Vor einem steinernen Mahnmal unweit des Museums der Besatzungen und der Freiheitskämpfe in Vilnius sprach er ein eigens für den Anlass verfasstes Gebet: "Dein Schrei, Herr, verstummt nicht und hallt wider von diesen Wänden, die an die Leiden so vieler Söhne und Töchter dieses Volkes erinnern." Nicht nur Litauer hätten am eigenen Leib "den Größenwahn derer erlitten, die sich anmaßten, alles zu kontrollieren", so der Papst.

Deutsche und sowjetische Besatzung

Unter den etwa 4.000 Teilnehmern des Gebets herrschte Stille, wohl viele hatten die Zeit der deutschen und sowjetischen Besatzung in Litauen noch präsent - etwa Sigitas Tamkevicius. Der Jesuit und frühere Erzbischof von Kaunas wurde als junger Priester vom Sowjetregime verfolgt. Er begleitete Franziskus zum Gebet am Mahnmal und beim vorherigen Besuch des KGB-Museums. In dem historischen Gebäude befand sich seit 1941 ein Foltergefängnis der Gestapo, später des russischen KGB.

Auch Tamkevicius wurde hier vom KGB gefangengehalten, bevor er zehn Jahre zu Zwangsarbeit nach Sibirien musste. Der 79-Jährige teilt das Schicksal vieler. So besuchte der Papst auch die sogenannte "Bischofszelle" - in der etwa der selige Teofilius Matulionis (1873-1962) gefangen gehalten wurde. Das Kirchenoberhaupt hatte den Bischof, der als erster litauischer Märtyrer gilt, im Vorjahr selig gesprochen.

Flammender Appell

Schon in einer Rede an Priester und Ordensleute in Kaunas am Vormittag hatte Franziskus die katholischen Widerstandskämpfer gewürdigt, denen weder Gefangenschaft noch Deportation den Glauben nahmen. Seine Rede dort war auch ein flammender Appell für eine glaubwürdige Kirche, die bei den Menschen und bei Gott ist.

Gegen das Vergessen der Geschichte war der Papst auch am Morgen angegangen - beim spirituellen Höhepunkt seiner Litauen-Reise, der Messe mit anschließendem Mittagsgebet im Santakos-Park von Kaunas. Hier erinnerte er an den 23. September vor genau 75 Jahren, als das Ghetto von Vilnius geräumt wurde. Ein neues Aufkeimen "solch verderblicher Haltung" müsse rechtzeitig erkannt werden, mahnte Franziskus.

Er selbst gedachte am Sonntagnachmittag an einem Gedenkstein in Vilnius noch einmal in gut dreiminütigem, stillen Gebet der Opfer des Ghettos - rund 40.000 Juden, die bis auf wenige ermordet oder in Konzentrationslager deportiert wurden.

"Globalisierung der Solidarität"

Als Auslöser von Krieg und Unterdrückung machte der Papst am Morgen Machtstreben aus, als Gegenmittel forderte er eine von Gottes Wort ausgehende "Globalisierung der Solidarität". Er rief weiter dazu auf, die Geringsten in die Mitte zu stellen, etwa ethnische Minderheiten oder "Arbeitslose, die gezwungen sind auszuwandern". Beide Beispiele waren genau gewählt - Litauen macht die Abwanderung junger Leute zu schaffen, zudem gibt es neben der Mehrheit der Litauer auch einige Minderheiten, etwa Weißrussen, Russen, Ukrainer oder Letten.

Was Franziskus am Samstag in seinen Ansprachen begonnen hatte, setzte er am Sonntag fort - all seine Äußerungen umfassten immer wieder Mahnungen gegen das Vergessen und zur Besinnung auf die eigenen Wurzeln, Aufrufe zu Solidarität, Gastfreundschaft und Einheit.

Papst macht Mut

Franziskus zeigte am Sonntag zugleich Verständnis für all jene, die angesichts des großen Leids der Vergangenheit Glaubenszweifel verspürten. Er machte den Menschen jedoch auch Mut. Im Gebet am Denkmal beim KGB-Museum sagte er, Litauen könne ein "Leuchtturm der Hoffnung" sein, wenn es die Erinnerungen wach halte und für die Rechte aller Kämpfe.

Bisher war die Baltikumreise von Franziskus ähnlich eindrücklich wie die von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) bei seinem Besuch in Litauen vor fast genau 25 Jahren, kurz nach dem Rückzug der Russen. Für die verbleibenden zwei Tage, an denen Franziskus Lettland und Estland besucht, verschiebt sich der Fokus stärker auf die Ökumene: Im Gegensatz zum katholisch geprägten Litauen sind Katholiken in den anderen zwei baltischen Staaten in der Minderheit. (Stefanie Stahlhofen/kna)