Meinung
Pfarrer zur "Letzten Generation"

Klimakrise: Verhandeln statt ankleben

Für Pfarrer Rainer Maria Schießler ist der Protest der "Letzten Generation" deshalb so verstörend, weil er in Bezug auf die Klimakrise den Widerspruch zwischen unserem Wissen und Handeln sichtbar mache. Straßen zu blockieren, stellt für den Münchner Pfarrer dennoch keine sinnvolle Option dar.

Klima-Proteste der "Letzten Generation" © imago images/Wolfgang Maria Weber

Zugegeben: Die "Letzte Generation" nervt. An jedem Tag, an dem sich junge und immer wieder auch einmal ältere Menschen im Berufsverkehr auf der Straße festkleben, verärgern und frustrieren sie die Autofahrer. Viele haben ihr Urteil bereits gefällt und sagen: Das sind alles Klima-Kriminelle. Diese Klima-Aktivisten aber nennen sich ganz bewusst "Letzte Generation". Sie sehen sich als die letzte Generation, die dem Klimawandel noch etwas entgegensetzen kann, bevor alles zu spät ist. Das kann man anmaßend finden. Aber Trillerpfeife und Plakat werden heute sicher nicht mehr ausreichen, gerade zu einer Zeit, in der die Klimakrise angesichts der vielen anderen Krisen in der öffentlichen Wahrnehmung unterzugehen droht. Das ist gesellschaftlich akzeptiert, bringt aber niemanden mehr zum Umdenken.

Verhandlungstisch der Vernunft

Straßen zu blockieren ist aber auch keine Option, wenn dadurch Menschenleben gefährdet werden. Wenn Rettungsfahrzeuge nicht rechtzeitig zum Einsatzort kommen, weil sie im Stau stehen, gibt das der "Letzten Generation" nicht das Recht, solche Situationen zu provozieren. Die Aktivisten müssen daher die Form ihrer Proteste dringend überdenken und auch ändern, denn sonst erweisen sie ihrem richtigen Anliegen, den Klimaschutz viel stärker ins Bewusstsein zu rücken, einen Bärendienst. Wichtig wäre, dass wir alle an den Verhandlungstisch der Vernunft zurückkehren. Die Entscheidung, Auto zu fahren und zu fliegen, die Entscheidung, ein "weiter so" zu leben, ist angesichts des Klimawandels eine politische Entscheidung.

Klimawandel verstärkt alle aktuellen Krisen

Während die Aktionen der Aktivisten sichtbare Folgen haben, verhält es sich bei den Folgen des Klimawandels dann doch anders. Sie sind verlagert, kommen anderswo auf der Welt vor, treffen uns nicht alle gleich. Die Klimakrise trifft alle Menschen. Sie zuzulassen ist einfach nur grausam. Der Klimawandel verstärkt alle bestehenden Krisen: Armut, Flucht, Krankheit und Ungleichheit. Millionen von Menschen müssen aufgrund der Untätigkeit der westlichen Welt hungern, leiden und sterben, solange zum Beispiel nur halbherzig für das 1,5-Grad-Ziel bei den Welt-Klima-Konferen-zen gekämpft wird. Auch das ist Gewalt, Der Klimawandel darf einfach nicht kollektiv verdrängt und zu einem Randthema gemacht werden.

Vielleicht ist der Protest der "Letzten Generation" deshalb so schockierend, so verstörend und hässlich, weil er diesen fundamentalen Widerspruch zwischen Wissen und Handeln sichtbar macht und damit unser Verdrängen und unsere Brutalität entlarvt. Es ist nicht verboten, beide Sei-ten ausgiebig zu betrachten und danach sich ein Urteil zu fällen. (Rainer Maria Schießler)

Podcast-Tipp

Pfarrer Rainer Maria Schießler aus München wartet nicht darauf, dass die Menschen zu ihm kommen. Er geht dorthin, wo die Menschen eh schon sind. Er nennt die Dinge beim Namen, auch wenn ihm das schon so manches Mal Ärger eingebracht hat. Aber er will immer nur das eine: seiner Kirche - und damit den Menschen - dienen. Auch in seinem Podcast nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er spricht über alles: Grundsätzliches, Spirituelles, aber auch kirchenpolitische Fragen.

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