Verfassungsgericht zu §217 Strafgesetzbuch

Kirchen kritisieren Urteil zur Suizidbeihilfe

Das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz. Das entschieden die Richter des Bundesverfassungsgerichts. Die christlichen Kirchen in Deutschland sehen dies mit Sorge.

Der Strafrechtsparagraf 217 zur gewerbemäßigen Sterbehilfe ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. © sudok1 - stock.adobe.com

Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht leitet aus dem Grundgesetz ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Die Entscheidung eines Einzelnen zum freiwilligen Suizid muss von Staat und Gesellschaft "als Akt autonomer Selbstbestimmung" respektiert werden, wie aus dem am Aschermittwoch in Karlsruhe verkündeten Urteil hervorgeht. Ausdrücklich sprechen die Richter dem Bundestag als dem Gesetzgeber das Recht zu, die Suizidhilfe zu regulieren. Dabei müsse aber Raum zur Umsetzung einer Selbsttötung verbleiben.

Leistungsfähigkeit darf kein Messkriterium sein

„Mit großer Sorge“ haben die katholische und evangelische Kirche in Deutschland die Entscheidung wahrgenommen. In einer gemeinsamen Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, heißt es außerdem: „Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar.“ Sie befürchten, dass „die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen.“

Aus Sicht der Kirchen entscheiden sich an der Weise des Umgangs mit Krankheit und Tod grundlegende Fragen des Menschseins und des ethischen Fundaments der Gesellschaft. "Die Würde und der Wert eines Menschen dürfen sich nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen.“

Sterbehilfe verstößt gegen das christliche Menschenbild

Mit Bestürzung reagierte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). "Dieses Urteil ist ein tiefer Einschnitt für den Schutz des Lebens in unserem Land", erklärte Präsident Thomas Sternberg. "Hier droht vielen Menschen statt der verheißenen Selbstbestimmung eine wachsende Fremdbestimmung am Lebensende." Dass die Selbsttötung als Dienstleistung verfügbar werde, habe nichts mit der Achtung der Menschenwürde zu tun. Sternberg verwies auf Entwicklungen in europäischen Nachbarländern mit liberalen Sterbehilfegesetzen: Dort sei der Zugang zu ärztlicher Suizidassistenz und aktiver Sterbehilfe kontinuierlich ausgeweitet worden.

Auch der Deutsche Caritasverband bedauerte das Urteil. "Sterbenskranke Menschen brauchen eine Begleitung, die ihre Ängste und Nöte und die ihrer Angehörigen ernst nimmt. Sie müssen alle mögliche Unterstützung erfahren, um würdevoll sterben zu können", erklärte Präsident Peter Neher. "Sterbehilfe verstößt gegen die Menschwürde und gegen das christliche Menschenbild."

Palliativmediziner kritisieren Entscheidung

Heftige Kritik an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe übt auch die Deutsche PalliativStiftung. Karlsruhe setze die Selbstbestimmung der ohnehin Starken über den Schutz der Schwächsten, erklärte der Vorstandsvorsitzende Thomas Sitte am Mittwoch in Fulda. "Jetzt wird die Erleichterung der Selbsttötung für Kranke und Lebensmüde zur normalen Dienstleistung."

"Wer Sterbehilfe erlaubt, mache über kurz oder lang Sterben zur Pflicht - erst recht in einer so ökonomisierten Gesellschaft wie der unseren", fügte Sitte hinzu. "Erfahrungen aus allen anderen Staaten zeigen: Angebot schafft Nachfrage", so der Palliativmediziner.

Das Bundesverfassungsgericht befasste sich am Mittwoch mit dem Paragrafen 217 Strafgesetzbuch. Der Bundestag wollte mit der 2015 verabschiedeten Regelung das Auftreten von Sterbehilfevereinen eindämmen. Verabschiedet wurde ein Verbot der geschäftsmäßigen, also regelmäßig geleisteten Beihilfe zur Selbsttötung. Straffrei bleibt, wer nicht geschäftsmäßig Beihilfe leistet und entweder Angehöriger eines Suizidwilligen ist oder ihm nahe steht. Eine juristische Besonderheit ist, dass eine Beihilfe strafbar wird, obwohl Selbsttötung als solche nicht strafbar ist. Diese Rechtskonstruktion gibt es nur bei der Selbsttötung. (kna)