Räume der Stille

Kirchen als Oasen im Großstadtlärm

Ob zum stillen Gebet, zum Innehalten oder als Unterbrechung des Alltags: Kirchenräume werden nicht nur für Gottesdienste genutzt. Abseits davon laden sie zum Verweilen ein.

Kirchenräume laden zum Verweilen ein. © IMAGO/epd

Lange Zeit galt München wegen seiner vielen Kirchen als das „deutsche Rom“. Und noch heute laden in der Isar-Metropole mehr als 270 christliche Kirchen und Kapellen zum Verweilen ein. Denn Kirchengebäude sind traditionell mehr als nur ein Ort, an dem Gottesdienste gefeiert werden. So können sie als Raum der Stille, des Gebets oder Innehaltens auch außerhalb eines Gottesdienstes dienen. Ganz unabhängig davon, wie Kirchenbesucher konfessionell oder vom Glauben her orientiert sind, wirken sie von Person zu Person anders. Vor allem im Alltagsstress kann der Besuch eines Kirchenraums ein positives Gefühl bewirken.

Kirchen als Erholungsraum

Für Thomas Schlichting, Leiter des Ressorts Seelsorge und kirchliches Leben im Münchner Ordinariat, dienen Kirchenräume vor allem als „Oasen im Großstadtlärm“. Besonders drastisch habe er dies empfunden, als er mit einer Gruppe in Rom war. Das Betreten des Kirchenraumes bewirke dort allein akustisch, neben dem Straßenlärm, einen ganz anderen Eindruck. In der Regel ist es ein Eintauchen in einen sehr ruhigen Raum mit einer eigenen Raumakustik und einem eigenen Raumgefühl. Allerdings handele es sich dabei um ein subjektives Gefühl, das bei jeder Person variieren kann. So wirken Kirchenräume auf Schlichting auch als ein Erholungsraum. „Und wenn man dann in aller Ruhe den Raum auf sich wirken lässt, sich hinsetzt oder hinkniet für ein Gebet oder auch ganz langsam geht, dann ist das auch rein körperlich eine Entspannung“.

Gestaltung des Kirchenraums für die Wahrnehmung entscheidend

Je nachdem zu welcher Tageszeit eine Kirche besucht wird, können Einflussfaktoren wie die Lichteinstrahlung oder die dortige Geräuschkulisse das persönliche Wahrnehmen verändern.  Außerdem gilt es auch zu berücksichtigen, unter welchen Voraussetzungen und Erwartungen eine Kirche besucht wird. Sei es, um einen Gottesdienst zu feiern oder dem Alltaglärm zu entfliehen.  Schlichting betont, dass auch die Gestaltung des Raums bei der Wahrnehmung eine Rolle spiele. „Handelt es sich um einen hohen Raum, der nach oben den Blick lenken lässt oder ist die Gestaltung sehr üppig mit ganz vielen Details, glänzenden Elementen oder doch eher nüchtern gehalten“. Er glaube, dass es wichtig sei, ob es sich um einen Raum handele, der sich auf das wesentliche konzentriere, auch in Bezug auf die Ausstattung, und ob er spontan dazu eingeladen sei, ruhig zu werden oder ob er aufgrund der Ausstattung dazu eingeladen sei, sich mit dem Vorhandenen zu beschäftigen. Mit dem Vorhandenen meint Schlichting die dortigen Kunstgegenstände wie Gemälde oder Figuren. Wobei auch hier die Wahrnehmung subjektiv sei. Zudem mache es einen Unterschied, wo die eigene kirchliche Heimat sei. „Man merke das, wenn man durch Kirchen führt, dass beispielsweise Menschen aus Norddeutschland sich in den bayerischen Kirchen oft erschlagen fühlen“, so Schlichtling.

Komplette Bandbreite von Wirkungen bei jungen Menschen

Persönlich hat Thomas Schlichting keine Lieblingskirche. Für ihn sind auch gut gelungene moderne Kirchenräume eine spezielle Einladung, um innerlich zur Ruhe zu kommen. Vor allem dann, wenn die Kirchenräume von ihrem Raumgefühl dazu einladen, ruhig zu werden und den Raum auf sich wirken zu lassen. Solche Momente nutze er auch gerne für ein Gebet. Zudem denkt Schlichting nicht, dass es altersabhängig ist, was für Kirchenräume bevorzugt werden. „Ich glaube aber, dass mit zunehmendem Alter auch die Vorurteile, also die Urteile, bevor ich einen Kirchenraum betrete, viel stärker sind. Also meine Erwartungshaltung“. Er merke, dass vor allem junge Menschen sehr spontan damit umgehen, was sie in einem Kirchenraum gerade sehen. Oft gäbe es da die komplette Bandbreite von Wirkungen. „Da fühlen sich junge Leute durchaus wohl in einem barocken Raum, weil es da so viel zu sehen gibt und andere werden still mit einem Raum, der auf das Wesentliche konzentriert ist“, erzählt Schlichting.

Kirchräume können also unterschiedlich wahrgenommen werden. Jeder hat andere Vorlieben. Sei es als eine Einladung zum Gebet oder um innerlich zur Ruhe zu kommen. In jedem Fall aber sind sie ein großer Schatz und laden spontan zum Verweilen und Durchatmen ein.  (Pauline Erdmann, Volontärin beim Sankt Michaelsbund)