Wenn die Antoniusküche in der Münchner Isarvorstadt um 11 Uhr ihre Tore öffnet, stehen die ersten Menschen schon Schlange. So wie Marianne (Name geändert), die seit einem halben Jahr hierherkommt, um ihr Mittagessen einzunehmen. Die schüchterne ältere Dame bezieht Erwerbslosenrente und findet es „eine Katastrophe“, dass sie sich davon keine warme Mahlzeit leisten kann.
Die Antoniusküche entstand im Dezember 2020 – „aus der Not heraus“, wie Projektleiterin Marlies Brunner sich erinnert. Schließlich wachse die Anzahl der Menschen, die auf ein solches Angebot angewiesen seien, stetig an. Dazu trage nicht nur die Corona-Pandemie, sondern inzwischen auch der Krieg in der Ukraine bei. Auch heute sind einige Ukrainerinnen unter den Gästen des besonderen Caritas-Angebotes.
Essensausgabe in der Kirche
Die Antoniusküche befindet sich in einem Gotteshaus. Der örtliche Pfarrverband Isarvorstadt und die Kapuziner haben hierfür ihre 1895 geweihte Antoniuskirche zur Verfügung gestellt. „Das ist Kirche!“, meint Bruder Thomas Schied, der Seelsorger, und blickt in den weiten Raum. „Die Leute essen hier und genießen die Atmosphäre unseres Gotteshauses.“ Von Montag bis Freitag werden zwischen 11:00 und 13:30 Uhr täglich rund 240 Essen verteilt, die von der Erzdiözese finanziert werden. Heute gibt es Putenleberkäse mit Kartoffelsalat und für die Vegetarier Gemüsebällchen.
Schwere Schicksale der Besucher
„Einige kommen nur zum Essen, sagen ,Vergelt’s Gott!‘ und gehen wieder“, erzählt Brunner. Manche können den Caritas-Mitarbeitern vor lauter Scham nicht mal in die Augen sehen. Andere sind schon überfordert mit der Frage, was für einen Tee sie trinken möchten. Viele suchen jedoch ein kurzes Gespräch mit den Mitarbeitern oder den anderen Besuchern. Da erfahren Brunner und ihre Kollegen von schweren Schicksalen. „Wir können nicht helfen“, sagt sie. Aber es sind die kleinen Gesten, die zählen: So halten sie für Stammgäste, die immer da sind, das Essen zurück, wenn sie sich verspäten, oder geben Adressen von Beratungsstellen weiter.
Das Alter spielt bei den Besuchern keine Rolle: Studenten, Hausfrauen, Kinder, Rentner – alle sind vertreten. Einem Mann bringen die Mitarbeiter der Antoniusküche das Essen nach draußen. Er darf nicht rein, weil er so stark nach Urin und Bahnhofstoilette riecht. Brunner erzählt von einer älteren Dame, die ihre Rechnungen nicht bezahlen kann, sich aber auch nicht helfen lässt: „Oft sitzt sie hier und weint. Manchmal werde ich ganz demütig, wenn ich in meine eigene Wohnung komme. Da werden die eigenen Probleme schnell lächerlich.“ Vielen reicht eine warme Mahlzeit am Tag nicht aus. Sie gehen morgens zur Küche in der Benediktinerabtei St. Bonifaz und mittags zur Antoniusküche. „Das gibt ihrem Tag eine Struktur“, weiß Brunner.
Freundliche Geste wirkt
Ein Mann in den Fünfzigern mit gelber Warnweste teilt Essen an die Besucher aus. Früher war Otto Alkoholiker, seit drei Jahren ist er trocken. „Dadurch habe ich einen Draht zu den Leuten“, weiß er. Er wird ernstgenommen. Wenn jemand aggressiv wird, fasst er ihn freundlich an der Schulter an und fragt: „Was hat dich denn heute geärgert?“ So konnte schon mancher Konflikt verhindert werden. Andere lassen ihren Frust über ihre Situation jedoch raus, ärgern sich zum Beispiel darüber, wenn es kein Fleisch gibt. Otto sorgt dafür, dass alles glimpflich abläuft.
Schon um kurz vor elf Uhr bildet sich eine Schlange an der Essensausgabe: 20 Menschen, überwiegend Männer, mit müden, traurigen Augen warten auf ihre warme Mahlzeit. So auch der 43-jährige Peter (Name geändert), der seit Ende September hier sein Mittagessen einnimmt. Der arbeitslose Zimmermann hat keine Rücklagen und ist froh, dass es die Antoniusküche gibt. „Wenn es mir wieder besser geht, möchte ich mich hier engagieren“, sagt er.
Gute Seele der Antoniusküche
Die gute Seele der Antoniusküche heißt Maria. Die 24-Jährige ist seit dem ersten Tag dabei. Nie ist sie ausgefallen, nie war sie krank. Früher lebte sie selbst auf der Straße, bekam Unterstützung von der Jugendhilfe. Doch beim Angebot der Caritas fand sie eine Aufgabe: Sie half mit, die Antoniusküche aufzubauen, und verteilt bis heute Tag für Tag geduldig Essen an die Besucher.
Schon um 9 Uhr morgens ist sie da, kocht Kaffee und Tee, stellt die Stühle auf. „Wir sind überwältigt, was Maria alles gestemmt hat“, lobt Brunner ihre Mitarbeiterin. Seit 1. Oktober ist sie bei der Antoniusküche angestellt, „weil sie so toll ist“. Außerdem hat sie mit ihrem Freund und Hund Chico inzwischen eine Wohnung gefunden. Die Arbeit macht ihr sichtlich Spaß. Maria und ihr Partner wünschen sich dringend eine neue, gemütliche Couch. Schließlich will Chico ihnen immer die Decken wegnehmen. (Maximilian Lemli, MK-Redakteur)